Das Rentendebakel - Wie Politik und Finanzindustrie unsere Vorsorge verspielen

Das Rentendebakel - Wie Politik und Finanzindustrie unsere Vorsorge verspielen

von: Danny Schlumpf, Mario Nottaris

Rotpunktverlag, 2022

ISBN: 9783858699756

Sprache: Deutsch

224 Seiten, Download: 3020 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Das Rentendebakel - Wie Politik und Finanzindustrie unsere Vorsorge verspielen



Einleitung


Dieses Buch handelt vom Einbruch der Finanzindustrie in die Sozialwerke. Es geht um Kalkül und Gewinn, Verrat und Verlust, Kabale und Rache – und um einen der größten Skandale der Schweizer Pensionskassengeschichte.

Unterhalb des Radars der Öffentlichkeit spielt sich ein Drama um die Aargauer Vorsorgeeinrichtung PK Phoenix ab. Wenig ist in den letzten Jahren darüber an die Öffentlichkeit gedrungen. Und was den Weg nach draußen fand, stellte meist ein völlig verzerrtes Bild des Debakels dar. Eine zentrale Rolle spielt die Schwyzer Kantonalbank.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Schweizer Vorsorgesystem ist zu einem Selbstbedienungsladen für die Finanzindustrie geworden. Das Nachsehen haben die Versicherten. Vom Staat kommt bis heute keine Hilfe. Er schützt nicht das Vorsorgevermögen, sondern die Gewinne der Geldhäuser. Das ist ein entscheidender Grund, warum es um unsere Renten immer schlechter steht.

Dabei ruht die Altersvorsorge in der Schweiz eigentlich auf einem soliden Fundament. Sie stützt sich bekanntlich auf drei Säulen: die staatliche, die berufliche und die private Vorsorge. Seit 1948 soll die obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) die Existenz nach dem Ende des Erwerbslebens sichern. 1985 wurde auch die zweite Säule obligatorisch. Das Pensionskassengeld soll die Weiterführung des gewohnten Lebensstandards ermöglichen. Und wer es sich leisten kann, investiert zusätzlich in die freiwillige dritte Säule, um die Vorsorge aktiv zu stärken.

Das Prinzip der drei Säulen zeichnet das Schweizer System aus. Es ist organisch gewachsen, verbindet Staat, Wirtschaft und Bürger. Es scheint im Kern durchdacht zu sein und ist demokratisch legitimiert. Doch das Modell hat auch gravierende Schwächen. Einige davon sind Geburtsfehler und wachsen mit den Säulen mit. Hinzu kommen Faktoren wie die demografische Entwicklung, die von außen auf das System drücken. Mit der Folge, dass die Säulen bröckeln.

Das ist schon lange bekannt. Doch Reformen der Schweizer Altersvorsorge sind schwierig. Sie scheitern immer wieder an den gegensätzlichen Interessen der politischen Kräfte im Land. Nun nimmt die Schweiz einen neuen Anlauf. 2022 ist das Jahr der Rentenreform. Im September hat das Stimmvolk die Reform AHV 21 angenommen, im Winter behandelt das Parlament die Reform BVG 21.

Doch diese Vorlagen reichen nicht. Sie verputzen die erste und die zweite Säule neu, doch sie reparieren nicht die Fundamente. Die Schweizerinnen und Schweizer müssen weiterhin um ihre Renten fürchten, denn die großen Probleme werden lediglich vertagt. Gelöst sind sie nicht.

Am ärgsten steht es um die zweite Säule. Das Kapital der beruflichen Vorsorge wirft seit Jahren immer weniger für die Versicherten ab. Und das, obwohl sich mittlerweile über 1200 Milliarden Franken Vermögen angehäuft haben. Diese enorme Summe müsste problemlos reichen, um den hiesigen Rentnerinnen und Rentnern ein sorgenfreies Dasein zu ermöglichen – möchte man denken. Doch weit gefehlt. Die zweite Säule lebt nämlich vor allem von der Rendite, die das angesparte Alterskapital der aktuell 4,4 Millionen Versicherten abwirft. Und genau die ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Immer mehr Versicherte müssen sich mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimalzins von 1 Prozent auf ihr Alterskapital begnügen. Entsprechend wenig schaut für sie nach der Pensionierung heraus. 2020 erhielten die Rentnerinnen und Rentner zusammen gerade einmal 24,5 Milliarden Franken aus dem Topf der beruflichen Vorsorge.

Umso irritierender, dass aus demselben Topf jedes Jahr praktisch unbemerkt 20 Milliarden abfließen, und zwar direkt in die Taschen der Finanzindustrie. Es sind Gebühren für Administration, Marketing, Vermittlung, Immobilienbewirtschaftung und weitere Dienstleistungen für die Pensionskassen im Umfang von 2 Milliarden Franken und Vermögensverwaltungskosten in der Höhe von 5 Milliarden. Hinzu kommen nicht veröffentlichte Transaktionskosten bei der Vermögensverwaltung im Umfang von schätzungsweise 12 Milliarden sowie eine Milliarde für Maklerprovisionen, Beratung und diverse Spesen. Diese enormen Beträge entwickeln sich seit Jahren nur noch in eine Richtung – nach oben. Für Versicherungen, Banken und andere Finanzdienstleister ist der Pensionskassenmarkt zu einem riesigen Geschäft auf Kosten der Versicherten geworden.

Wie konnte das passieren?

Alles beginnt 1985. Die Schweizer Wirtschaft brummt, es gibt so gut wie keine Arbeitslosen. Das ist der richtige Zeitpunkt, um der beruflichen Vorsorge ein festes Fundament zu geben. Der Staat ruft das BVG-Obligatorium ins Leben: Das Bundesgesetz über die Berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) verpflichtet die Angestellten in der Schweiz dazu, in die zweite Säule einzuzahlen. Ihre Pensionskasse können sie allerdings nicht selbst wählen. Damit schafft der Staat ein geschlossenes System ohne Wahlfreiheit für die Konsumenten. Umso mehr Freiheiten gewährt der Staat auf der anderen Seite den Anbietern, die äußerst ineffizient überwacht werden. Sie können mit dem Geld der Versicherten hantieren wie in einem freien Markt. Die BVG-Verordnung von 1985 umfasst gerade einmal zwei Dutzend Seiten. Zwang für die Versicherten, Freiheit für die Anbieter – dieser Geburtsfehler ist ein zentraler Grund dafür, dass die Vorsorgeversicherten bis heute der Finanzindustrie machtlos ausgeliefert sind.

Der Zürcher Unternehmer Serge Aerne, auf den wir noch mehrfach kommen werden, ist Teil dieser Industrie. Sein Berufsweg bildet die kommenden Entwicklungen im Vorsorgemarkt ab. Nach einer kaufmännischen Lehre Ende der neunziger Jahre arbeitet er bei einem Treuhänder. Dann geht er für zwei Jahre zur UBS. 2004 gründet er eine eigene Devisenhandelsfirma. Als Händler verdient er gutes Geld – bis 2008. Er verspekuliert sich und geht in der Finanzkrise unter. Auch große Geldhäuser stehen vor dem Kollaps. Die Notenbanken reagieren und senken massiv die Zinsen. Mit der Folge, dass den Bankern die Margen schrumpfen und sie sich nach neuen Tätigkeitsfeldern umsehen. Fündig werden sie im Pensionskassenmarkt.

Serge Aerne wird Direktor der Schwyzer Tellco AG. Dieses Vorsorgeunternehmen ist im Besitz des Finanzmanns Hans Düring und des Politikers Reto Wehrli, der von 2003 bis 2011 für die Schwyzer CVP im Nationalrat sitzt. Düring und Wehrli bauen in den Nullerjahren ein neues Konstrukt auf, das Schule im Pensionskassenmarkt macht: die Vorsorge-Holding. In deren Zentrum steht eine Sammelstiftung, die den Anschluss einer theoretisch unbegrenzten Zahl von Betrieben ermöglicht. An die Stiftung gliedern Düring und Wehrli weitere Gefäße an: eine PK-Verwalterin, eine Anlagestiftung, eine Marketingabteilung, Immobiliengesellschaften, Treuhandfirmen. All diese Gefäße vereinen sie schließlich unter einer Dachgesellschaft, der Tellco-Holding, die mit Gebühren für ihre Dienstleistungen hohe Gewinne macht.

Die Tellco AG wird zu einer Größe im Schweizer Vorsorgemarkt. Sie wird zum Vorbild für Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister, die nach der Finanzkrise mit Wucht in das Pensionskassengeschäft drängen. Die Finanzgesellschaften übernehmen die Kontrolle und degradieren die Stiftungsräte der Pensionskassen zu Marionetten. Die tragen zwar offiziell immer noch die Verantwortung und haften persönlich für das Versichertenvermögen, doch sie haben nichts mehr zu sagen. Jetzt regieren die Finanzexperten, die den Interessen der Aktionäre von Holdings, Versicherungskonzernen und Banken verpflichtet sind.

2012 macht sich Serge Aerne selbständig und gründet im aargauischen Kleindöttingen die Pensionskasse Phoenix, die er ebenfalls von einer Vorsorge-Holding betreuen lässt – der Nova Vorsorge AG. Die Schwyzer Kantonalbank (SZKB) steigt unter der Federführung von Bankpräsident Kuno Kennel ein und übernimmt eine beherrschende Stellung in der Nova-Holding. Kennel will auch mitmischen im großen Spiel, in das sich andere Kantonalbanken bereits erfolgreich eingeschaltet haben. Doch bei der PK Phoenix tauchen plötzlich Probleme auf. 2017 wird in der Kasse ein Loch von 12 Millionen Franken entdeckt. 2022 steht die Phoenix vor dem Aus.

Die Schwyzer Kantonalbank spielt eine entscheidende Rolle in diesem Drama. Sie deckt Serge Aerne mit Anzeigen ein und aktiviert eine wirkmächtige PR-Maschinerie, die den Phoenix-Gründer als Schuldigen für das Millionenloch darstellt. Auch die Aargauer Pensionskassenaufsicht schlägt sich früh und vorbehaltlos auf die Seite der Kantonalbank und lanciert auf Kosten der Versicherten einen Angriff nach dem anderen auf die PK Phoenix. Schließlich muss das Bundesgericht die Aufsicht zurückpfeifen. Ihr Geschäftsführer wird in den Ausstand beordert.

In der Öffentlichkeit dominiert bis heute die Erzählung vom betrügerischen Geschäftsmann Serge Aerne, der mit krummen Immobiliengeschäften das Loch in der Phoenix-Kasse verschuldet...

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