Alte WEISE Männer - Hommage an eine bedrohte Spezies (SPIEGEL-Bestseller)

Alte WEISE Männer - Hommage an eine bedrohte Spezies (SPIEGEL-Bestseller)

von: Nena Brockhaus, Franca Lehfeldt

GRÄFE UND UNZER, 2023

ISBN: 9783833889578

Sprache: Deutsch

272 Seiten, Download: 12319 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Alte WEISE Männer - Hommage an eine bedrohte Spezies (SPIEGEL-Bestseller)



Wir Frauen lernen von klein auf: Laufe einem Mann nicht hinterher. Um keinen Preis. Niemals. Ich gestehe hiermit: Ich tat es. Monatelang buhlte ich um ein Treffen mit ihm. Besorgte mir über Umwege gar seine private Handynummer. Ich wusste: Für Alte weise Männer brauche ich ihn oder keinen.

Die Rede ist von Mario Adorf. Seit über sechs Jahrzehnten gehört er zu den renommiertesten Schauspielern Deutschlands. Er ist einer der raren Superstars, die wir in diesem Land haben. Seine Filmografie: überbordend wie facettenreich. Vom Krimiklassiker Nachts, wenn der Teufel kam über Die Blechtrommel bis hin zu unvergesslichen Fernsehauftritten in Helmut Dietls Kir Royal und Dieter Wedels Mehrteiler Der große Bellheim.

Sie merken schon: Die Karriere von Mario Adorf zu beschreiben, ist nur mit einem Feuerwerk an Superlativen möglich. Als er die Goldene Kamera für sein Lebenswerk erhielt, nannten ihn die First Ladys des deutschen Films Iris Berben und Hannelore Elsner »unseren großen Mario, unseren allergrößten Mario« und endeten ihre Laudatio mit »Play it again, Super-Mario«.

Heute ist Mario der Große 92 Jahre alt. An einem verregneten, herbstlich anmutenden Tag empfängt er mich nachmittags in seiner Wohnung in München Schwabing. Es ist nicht sein einziger Wohnsitz. Adorf lebt zusätzlich in Südfrankreich und Paris. In einen blauen Janker gekleidet öffnet er die Tür, nimmt mir meinen braunen Mantel ab, hängt diesen in die Garderobe und unterhält sich währenddessen mit seiner Ehefrau auf schnellem Französisch. Seit 54 Jahren ist er mit der Französin Monique Faye zusammen. Seit 1985 sind die beiden verheiratet. Wir nehmen an einem schwarzen Holztisch Platz, das Esszimmer ist farbenfroh und gemütlich gestaltet. Seine Frau Monique bringt Plätzchen und Kaffee. Beherzt greift Adorf zu, er sei heute noch nicht zum Essen gekommen, erklärt er mir.

Herr Adorf, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Kritik?

Meine ersten Kritiken hatte ich am Theater, da waren einige gut und einige nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Meine Mutter hat das damals alles gesammelt, ich habe es mir selten angeschaut.

Sind Kritiken für Sie bedeutungslos?

Nein, ich gehöre nicht zu jenen, die behaupten: Ich lese nie Kritiken. Wenn eine Kritik vernünftig ist, nehme ich sie ernst. Ich habe nie gegen eine Kritik prozessiert oder jemanden angeschrien. Nur einmal habe ich einem bekannten Journalisten, der mich wirklich unfair behandelt hat, einen Brief geschrieben – ich habe ihn nicht abgeschickt. Generell sind mir Kritiken und Preise nicht so wichtig. Ich kannte einen Schauspieler, der hat seine Karriere lange gezielt auf den Gewinn eines Oscars ausgerichtet. Er hat ihn nicht bekommen. Ein junger Autor wollte die Aufführung seines Theaterstücks durchsetzen, weil er meinte, dass er dann dafür einen Preis bekäme. Ich habe ihm gesagt: »Tu das nicht. Der Preis ist das Sahnehäubchen, aber er darf nicht das Ziel sein.«

Gab es einen Preis, der Ihnen etwas bedeutet hat?

Zum Zeitpunkt der Verleihung hatten sicher die meisten Preise eine schmeichelhafte Bedeutung für mich, aber in besonderer Wertschätzung bleiben einige wenige, weil sie in der Form kleine bronzene Kunstwerke sind wie der Ernst-Lubitsch-Preis, in der letzten Zeit die Siegesgöttin Nike und der Europäische Kulturpreis für Schauspielkunst, der mir am vergangenen 26. September in meiner Geburtsstadt Zürich verliehen wurde.

Wo stehen Ihre Preise heute?

Ich weiß gar nicht, wo meine Preise sind. Fünf oder sechs sind noch da. Aber der Rest? Die kamen zu Ausstellungen, etwa in die Akademie der Künste in Berlin, nach Düsseldorf, Hannover, und in meiner Heimatstadt Mayen stehen einige Preise. Ich habe sie geehrt angenommen, aber auch nicht für so wichtig gehalten, nicht einmal ein Oscar hätte mir viel bedeutet. Mein erster nennenswerter Film Nachts, wenn der Teufel kam … hatte 1958 eine Oscarnominierung für den besten ausländischen Film. Von dieser Nominierung habe ich drei Monate nach der Verleihung erst erfahren. Heute wird schon jede Nominierung monatelang vorher frenetisch gefeiert. Bei der Blechtrommel war ich damals nicht einmal eingeladen, das Ticket habe ich selbst bezahlt, saß in der 26. Reihe und niemand hat mich erkannt. Ich bin auch nicht, wie später manche, jubelnd auf die Bühne gehüpft. Ich bin brav sitzen geblieben, während ein paar hundert Zuschauer genau während der Sparte bester ausländischer Film den Saal verließen, um eine Zigarette zu rauchen.

Der Film Die Blechtrommel aus dem Jahr 1979 gewann als erster deutscher Film den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Neben weiteren anderen Preisen erhielt er zudem die Goldene Palme in Cannes. Adorf spielte in dem Film die Rolle des Alfred Matzerath.

Worauf haben Sie Ihre Karriere ausgerichtet?

Schlicht darauf, gute Arbeit zu machen. Die Schauspielerei ist ein Handwerk, keine außerordentliche Begabung, die vom Himmel kommt. Die meisten Menschen wären dafür nicht unbegabt. Das Handwerk kann man erlernen. Ich kam bereits vom Handwerk. Ich habe für mein Studium sehr hart arbeiten müssen: auf dem Bau und im Steinbruch. Für mich war die Schauspielerei eine Arbeit wie jede andere.

Sie sind vermutlich der einzige Mensch, der die Schauspielerei mit der Arbeit auf dem Bau vergleicht.

Was tut man auf dem Bau? Man baut auf. Das tut man in meinem Beruf auch. Man baut eine Rolle auf. Es gibt noch mehr Parallelen: Wie auf dem Bau ist die Schauspielerei keine einsame Beschäftigung. Sie ist Gemeinschaftsarbeit. Ich habe die Sonderstellung des Einzelnen nie geschätzt. Ich konnte nie nachvollziehen, wenn ein Schauspieler schon nachmittags um 15 Uhr allein in seiner Garderobe sitzt, um sich in seine Rolle zu versenken. Manchmal habe ich am Theater drei Rollen an einem Tag gespielt. Ich habe eher Schauspieler bewundert, die kurz vor dem Auftritt noch einen Witz erzählt haben. Schauspielerei ist ein Handwerk, das es zu beherrschen gilt.

Heutzutage kommen viele Schauspieler direkt zum Film.

Das war früher unüblich. Schauspieler kamen damals meist vom Theater. Heute kommen sie schon als Superstar zu ihrer ersten Fernsehrolle. Für mich war die Arbeit beim Theater wichtig. Dort lernte ich, in kleinen Rollen aufzufallen und weiterzukommen. Es war für mich immer wichtig, eine Rolle gut zu spielen. Natürlich ist es Glück, gute Rollen zu bekommen, aber auch daran kann man arbeiten. Man kann das Glück packen. Die Göttin Fortuna ist zwar blind, aber nicht unsichtbar. Man kann sie packen.

Besteht Glück darin, auch Nein zu sagen?

Ich habe unzählige Rollen für Filme abgesagt, bei denen ich gemerkt habe, dass ich da nicht hinpasse. Ich war aber nie auf der Suche nach Rollen, die mir ähneln. Sie müssen mich packen. Ich kannte einen sehr populären Schauspieler, der seine Rollen so lange veränderte, bis sie mit seinem privaten Ich fast identisch waren. Ich wollte beim Spielen immer jemand anderes sein. Ich wollte Neues erfahren über die darzustellenden Menschen, wie sie ticken, denken und fühlen. Ich bin ein Gegner der Routine.

Der Schauspieler Peter Sattmann wurde vom Spiegel gefragt, ob er auf Charakterschauspieler wie Sie, die im Feuilleton besprochen werden, neidisch sei. Seine Antwort lautete: Ja. Seine Erklärung: Bei ihm habe es mit der Reputationsschauspielerei nie funktioniert, weil er immer Geld brauchte und es sich nicht leisten konnte, einen Dreh abzusagen.12 Konnten Sie es sich finanziell immer leisten, Rollen abzusagen?

Ich kannte Peter Sattmann mal sehr gut, wir waren eine Zeitlang befreundet, bis sich unsere schauspielerischen Wege trennten. Bei mir gab es nach dem ersten großen Erfolg viele Angebote, da musste ich Nein sagen und habe angefangen, auf Qualität zu schauen. Man kann von zehn Rollen neun absagen, aber der Kamin musste auch bei mir rauchen. Es gibt das Gegenteil zu Sattmann: Ich kannte einen wunderbaren Schauspieler, der zu viel abgelehnt hat. Der hat der finanziellen Versuchung immer widerstanden. Manche Rollen hat er außerdem wegen seiner zu deutlich betonten politischen Einstellung nicht bekommen und so sind ihm große Chancen verwehrt geblieben.

Darf man als Schauspieler politisch sein?

Dürfen sicher, aber sollte man? Man kann es sogar. Nehmen Sie Ronald Reagan oder Arnold Schwarzenegger. Aber der Politiker vertritt doch eine bestimmte Partei, er tut alles für die Grundsätze und Ideen seiner Partei, er ist naturgemäß in Opposition zu allen Andersgesinnten. Der Schauspieler aber kann nicht sagen: Ich spiele ausschließlich für die Linken oder Rechten, er spielt für alle, für das sehr verschiedene gesamte Publikum. Und das ist für mich gut so.

Würden Sie sich als politischen Menschen beschreiben?

Ich habe mich immer für die Politik interessiert, habe aus meiner Einstellung nie ein Geheimnis gemacht und auch meine Meinung öffentlich vertreten. Ich habe mich allerdings auch zurückgehalten. Ich hatte privat oder beruflich nie viel übrig für Vereine, und Parteien sind schließlich auch so etwas wie ein Verein. In meiner Jugend war ich in einem Boxclub und bei einem Fußballverein. Das war’s. Ansonsten habe ich mich nie einer Gruppe, einem Clan angeschlossen. Und oft zu meinem beruflichen Schaden. Den Drang, die Welt zu verändern, verspüre ich nicht, auf der Straße werben oder protestieren, das mögen andere tun.

Ich wählte die Theaterbühne, das Lesepult. Dort und mit einigen Filmen konnte ich das Gute tun, die Menschen unterhalten, aber auch zum Nachdenken bringen.

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