Der Kalte Krieg der Generationen - Wie wir die Solidarität zwischen Jung und Alt erhalten

Der Kalte Krieg der Generationen - Wie wir die Solidarität zwischen Jung und Alt erhalten

von: Johannes Pantel

Verlag Herder GmbH, 2022

ISBN: 9783451826993

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 695 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Der Kalte Krieg der Generationen - Wie wir die Solidarität zwischen Jung und Alt erhalten



Kapitel 1:
Jung gegen Alt – nichts Neues unter der Sonne?


»Bereichern sich die Alten auf Kosten der Jungen?«, fragt die Zeit und sieht düstere Wolken am Generationenhimmel aufziehen.1 Das österreichische Lifestyle-Magazin Wiener sieht gar einen Krieg der Jungen gegen die Alten2 herannahen und kennt auch den Grund: Die ältere Generation habe ihren hemmungslosen Konsumfetischismus ohne Rücksicht auf die Nachgeborenen ausgelebt. Diese müssten jetzt die Zeche zahlen. Die Alten hätten das Land zubetoniert, die Flüsse vergiftet, die Atemluft verpestet, kurzum, unsere Welt ruiniert und den Jungen damit die Zukunft genommen. »Jetzt kommt ein gnadenloser Krieg!«, titelt kurz darauf der Spiegel, und macht einen »zunehmenden Altenhass« unter jungen Deutschen aus.3 Ein demografischer Umsturz ohnegleichen habe die Stimmung der jüngeren Generation verhagelt: Die Menschen lebten immer länger, aber von unten wachse wenig nach. So sei der Kollaps des herkömmlichen Rentensystems absehbar, da immer weniger Junge für immer mehr Alte aufkommen sollen. Erbarmungslose Verteilungskämpfe seien die Folge. In den USA habe man hierfür bereits deutliche Worte gefunden: »Age wars«.

Krieg den Alten?


Hier findet der gerade aufbrechende Generationenkonflikt seinen journalistischen Niederschlag, könnte man glauben. Aufgebrachte Millennials, die gegen Babyboomer im Vorruhestand zu Felde ziehen. Rhetorisch überzogen, aber topaktuell.

Tatsächlich stammen die düsteren Kriegsprognosen aus dem Jahr 1989, sie sind also über dreißig Jahre alt. Menschen, die man heute als »Boomer« verunglimpfen würde, wurden damals abfällig »Gruftis« genannt. Ich selbst war sechsundzwanzig, studierte Medizin und durfte mich, gemeinsam mit den anderen Babyboomern meiner Generation, zu den Jungen zählen. Mit zunehmendem Unwohlsein – schließlich ging es auch um meine eigene Zukunft – verfolgte ich, wie die Debatte »Deutschland gegen Methusalem«4 noch im selben Jahr an Fahrt aufnahm: Der Generationenkonflikt breche als »Altersklassenkampf«, als »Bürgerkrieg zwischen Jungen und Alten« neu auf, konstatierte etwa der Soziologe Reimer Gronemeyer in seinem viel beachteten Essay »Die Entfernung vom Wolfsrudel«.5 Die Jungen würden anfangen, ihr Verhältnis zu den Alten neu zu betrachten, eine »smarte Rohheit« gegenüber den Alten komme auf. Alte Menschen würden nicht mehr als integrationsbedürftige Randgruppe gesehen, sondern als kostenträchtige Problemgruppe. Respekt vor den Alten? Wieso denn, aus welchen Gründen? Teure, nutzlose, konsumgierige Menschen in großer Zahl seien zu besichtigen.6

Die demografischen Entwicklungen seien »alarmierend«, »dramatisch«, gar »explosiv«, stellte auch der Fernsehjournalist und ZDF-Gesundheitsexperte Hans Mohl in seinem wenig später erschienenen Bestseller »Die Altersexplosion« fest. Die demografische »Zeitbombe« müsse entschärft, der »Explosionsherd abgesichert« werden, sonst drohe die Gesellschaft am »Problem ihrer Überalterung« zu scheitern.7

Fast zeitgleich setzte der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission ein, die den Namen »Demografischer Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik« trug. Insbesondere das »Verhältnis zwischen den Generationen« verlange eine eingehende Analyse, heißt es in dem 2002 publizierten Abschlussbericht.8 Denn der demografische Wandel sei immens und mache es erforderlich, über die Veränderung im Bevölkerungsaufbau intensiv nachzudenken. Mögliche Konsequenzen seien aufzuzeigen. Es folgte eine Reihe von Handlungsempfehlungen an Politik und Wirtschaft, verbunden mit der Hoffnung, dass diese die »notwendigen Veränderungen initiieren und positiv beeinflussen« werden. Die eine oder andere – etwa die Erhöhung des Renteneintrittsalters – wurde in der Folgezeit umgesetzt. Aber war die »Zeitbombe« damit wirklich entschärft?

Ein wenig verzagt las ich kurze Zeit später Frank Schirrmachers »Methusalem-Komplott«9. Der »wirkliche Schock« werde sich vermutlich zwischen 2010 und 2020 ereignen, prognostizierte der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in seiner viel beachteten Streitschrift. Dieser »Alterungsschock« sei mit dem Schock der Weltkriege vergleichbar und werde mit einer nie da gewesenen »rassistischen Diskriminierung« alter Menschen einhergehen. Nur ein Komplott der Alten gegen den biologischen und sozialen »Terror der Altersangst«, eine »militante Revolution unseres Bewusstseins«, könne diese dramatische Entwicklung noch abwenden. Bleibe dieser aus, so werden die Jungen von heute im Alter in die »seelische Sklaverei« gehen.

Weitere achtzehn Jahr später – wir schreiben das Jahr 2022 – gehöre ich selbst zu »den Alten« oder bin zumindest auf dem besten Weg dorthin. Der angeblich kurz bevorstehende, spätestens jedoch ab 2010 über uns hereinbrechende Krieg der Generationen ist ausgeblieben.10 Auch der bereits vor dreißig Jahren prognostizierte volkswirtschaftliche Ruin selbst so reicher Nationen wie den USA, die unter der Last der Kosten zur »Verlängerung des Lebens von unheilbar Kranken und Alten«11 kollabieren würden, lässt weiterhin auf sich warten.

Also, so frage ich mich, war das alles nur falscher Alarm? Führt der demografische Wandel am Ende doch nicht in die vielfach angekündigte Katastrophe? Waren das Schüren der »Methusalem-Angst« und die Warnungen vor dem drohenden Generationenkrieg Teil einer medial inszenierten »Alterslüge«,12 die neoliberalen Politikern dazu diente, mithilfe von Privatisierungsprogrammen die Axt an die Grundfeste unserer sozialen Sicherungssysteme zu legen? Oder waren sie gar hysterische Dramatisierungen? Es wäre natürlich beruhigend, diese Frage mit Ja beantworten zu können, aber leider ist diese Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.

Die demografische Urangst der Deutschen


Die sorgenvolle Beschäftigung mit der Altersstruktur unserer Bevölkerung sowie die Warnung vor einem hieraus gespeisten Krieg der Generationen sind zumindest nicht neu. Angeregt durch diese Beobachtung beginne ich, mich mit der Geschichte des demografischen Diskurses in Deutschland zu beschäftigen, und stelle bald fest: Die Demografie war schon immer eines der großen Angstthemen der Deutschen.13 Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Gefahren eines »Volks ohne Jugend« publizistisch heraufbeschworen und Warnungen vor einer »biologischen Selbstvernichtung« der Deutschen durch »die drohende Schrumpfung und Überalterung des Volkskörpers«14 ausgesprochen. Entsprechend war die Steuerung der demografischen Entwicklung ein zentrales Anliegen der Nationalsozialisten, u. a. mit tödlichen Folgen für alte, kranke und pflegebedürftige Menschen, die als »unproduktive Ballastexistenzen«15 galten. Wenige Jahre später warnte der erste Bundeskanzler der neu gegründeten Bundesrepublik, Konrad Adenauer, vor den Gefahren einer »wachsenden Überalterung« und nannte die Bevölkerungsbilanz des deutschen Volkes erschreckend.16 Und, siehe da, die Deutschen erhörten ihren Kanzler und die Zahl der Geburten schoss nach oben! In den folgenden Jahren erblickten die Babyboomer das Licht der Welt. Bald schon machten Begriffe wie »Geburtenschwemme« die Runde und um das Thema Demografie wurde es eine Weile still.

Erst zu Beginn der 1980er Jahre – der »Pillenknick« hatte längst seine drastischen Spuren in den Kurven der Demografen hinterlassen – nahm die Diskussion wieder Fahrt auf. Von nun an lässt sich dieser nicht selten unter völkisch-rassistischen Vorzeichen (»Deutschland ohne Deutsche!«) stehende Diskursstrang, einmal stärker, einmal schwächer ausgeprägt, bis in die Gegenwart verfolgen.17

Neben der Angst vor dem vermeintlichen »Genosuizid«, dem »Volksselbstmord«, drängte dann Ende der 1980er Jahre – als man allmählich begriff, dass die Babyboomer auch einmal das Rentenalter erreichen werden – eine zweite demografische Angst in die öffentliche Wahrnehmung: Diese hat weniger das »Aussterben der Deutschen« zum Gegenstand als vielmehr eine angebliche »Überalterung« bzw. »Vergreisung« unserer Gesellschaft und die damit verbundenen Bedrohungen für den gesellschaftlichen Frieden. Die »Methusalem-Angst« war geboren, von der oben schon die Rede war.

Und doch: Die Deutschen werden immer älter


Aber was ist dran an der gefühlten Bedrohung? Ein Blick auf die aktuellen Statistiken macht deutlich: Tatsächlich hat die »Methusalem-Angst« einen wahren Kern, aus dem sie, bei aller überzogenen Rhetorik, ihre Plausibilität bezieht: Der demografische Wandel ist real, unabwendbar und wird sich in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Dies besagen zumindest die Vorausberechnungen, die demografische Experten im Auftrag der Bundesregierung zuletzt im Jahr 2021 vorgenommen haben:18 Bedingt durch das Altern der geburtenstarken Jahrgänge, vulgo der Babyboomer, wird in den vor uns liegenden zwei Jahrzehnten insbesondere die Zahl der über 67-Jährigen (d. h. der Ruheständler)...

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