Fuck the Falten - Wild bleiben statt alt werden

Fuck the Falten - Wild bleiben statt alt werden

von: Uli Heppel, Sabine Fuchs

GRÄFE UND UNZER, 2020

ISBN: 9783833874819

Sprache: Deutsch

192 Seiten, Download: 3809 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Fuck the Falten - Wild bleiben statt alt werden



SHOULD I GREY OR SHOULD I NOT?


Irgendwann im Frühling, es muss Anfang der 80er-Jahre gewesen sein: Im Fernsehen läuft eine Talkshow mit der Burgschauspielerin Erika Pluhar. Meine Schwester und ich, beide im Teenageralter, sitzen vor dem Fernseher und sind uns einig: »Diese Frau ist wirklich cool.« Die Pluhar trägt das Haar grau und lang und wir finden, sie sieht klasse so aus. Dann geraten wir ins Schwärmen darüber, wie toll das erst mal werden wird, wenn wir einmal so alt sind. Und wie selbstverständlich wir dann unser Haar genau so ergrauen werden lassen.

Mit im Wohnzimmer sitzt unser Vater und liest Zeitung. Nur kurz schaut er auf und kommentiert: »Diese Frau sieht aus wie eine alte Hexe.« Tatsächlich war die Feministin Erika Pluhar damals für viele ein rotes Tuch. Es habe Zeiten gegeben, da hätten Männer auf Empfängen ihren Frauen verboten, mit ihr zu sprechen, sagt sie selbst rückblickend.

Frühling 2014, 33 Jahre später: Unser Vater ist vor wenigen Wochen gestorben, ich bin unendlich traurig und ziehe mich in meine geliebten Berge zurück. Ich bin alleine auf einer Hütte. Hier will ich in Ruhe trauern. Mein Blick in den Spiegel beim Zähneputzen fällt auf tieftraurige Augen, Augenringe vom vielen Weinen und – einen deutlich sichtbaren grauen Haaransatz. Mein Friseur hatte mir vor einiger Zeit geraten, das Färben sein zu lassen. Doch auf einmal ist mir klar: Ich kann nur dann wieder in mein Leben vor meiner Traurigkeit zurückkehren, wenn ich wieder färbe! Ich fahre sofort zum nächsten Drogeriemarkt. Ich will nicht, dass man sieht, wie es mir geht.

Trotzdem, obwohl auch ich selbst damit erst mal die Chance vertan habe, mit meiner Haarfarbe ein Zeichen zu setzen, faszinieren mich weiterhin die Frauen, die durch ihr graues oder weißes Haar signalisieren: »Schaut her, ich werde alt und ganz offensichtlich stehe ich dazu. Seht mir ruhig dabei zu.« Einen Artikel über Yazemeenah Rossi zu dem Thema, für mich »the sexiest grey-haired woman alive«, sauge ich geradezu auf, aber eine innere Stimme sagt mir: Ich bin noch nicht dazu bereit, mein Alter so offen zu leben.

Mein gewohntes Hellbraun übertüncht nicht nur meinen Haaransatz, sondern auch meine tiefe Trauer. Da bin ich wieder.

Dabei befinde ich mich mit meinen zu diesem Zeitpunkt 49 Lebensjahren wunderbar im Durchschnitt. Eine 50-zu-50-Regel besagt: 50 Prozent aller Menschen haben im Alter von 50 Jahren 50 Prozent graue Haare auf dem Kopf. Aber wo ist dieser Durchschnitt? In meinem Freundinnenkreis ist er zumindest im Jahr 2014 noch nicht sichtbar: Alle sind entweder blond, braun, honigblond oder rothaarig.

Über das Haarefärben wird nicht kontrovers gesprochen. Es ist normal, es zu tun. Man kann es mit Zähneputzen vergleichen.

Im Frühling 2017 stelle ich durch eine Erkrankung mein Leben infrage. Ich beginne damit, gesünder und bewusster zu leben, ernähre mich von Bioprodukten, meditiere regelmäßig und versuche so wenig Plastik wie möglich zu verwenden … Nur landet weiterhin in mittlerweile zweiwöchigem Abstand Chemie auf meinem Kopf, was mich wieder zu der Frage bringt: »Wie lange will ich noch färben?«

Aber gerade jetzt, wo mein Leben einer Jolle gleicht, die sich in tosenden Wellen kaum über Wasser halten kann, will ich mich nicht noch angreifbarer machen, als ich es durch die Krankheit schon bin.

Durch unseren Blog bin ich in dieser Zeit allerdings viel auf Instagram unterwegs und auf einmal tauchen sie überall auf: die wahnsinnig coolen, lässigen Frauen, die unter #goinggray ihr weißes Haar präsentieren. Wir sind mit Fuckthefalten unter dem Hashtag 50plusandfabulous unterwegs und scheinbar weiß der Logarithmus von Instagram besser über mein Seelenleben Bescheid als ich selbst, denn ständig werden mir Blogs angezeigt, die nur dieses Thema zum Inhalt haben …

So schnell werde ich wohl nicht zu den coolen Weißhaarigen gehören. Ich bin einfach noch nicht so lässig und selbstbewusst.

Zeitgleich kommt der Granny-Look in Mode: Junge Mädchen lassen sich in aufwendigsten Farbprozeduren ihr Haar grau färben. Grau wird in der Modewelt als cool gefeiert – bei jungen Frauen.

Während eines Meetings zupft ein Kollege ein Haar von meiner Strickjacke und erkundigt sich belustigt: »Sag mal, ist dieses weiße Haar etwa von dir?« Ich merke, wie ich mich innerlich angespannt darauf vorbereite, mich zu rechtfertigen.

Denn ich will gerne weiterhin mein Alter verstecken, will mich nicht aufs grauhaarige Altenteil begeben. Ich färbe also erstmal weiter.

Zum Jahreswechsel 2018 bin ich wieder mal bei meinem Friseur. Und wieder ermutigt er mich: »Wenn es dir too much wird, dann können wir immer noch Strähnchen färben. Du wirst fantastisch mit deiner natürlichen Haarfarbe aussehen.«

Irgendwann in diese Zeit fällt dann auch mein zweites Coming of Age: Irgendetwas in mir ruft nach mehr Authentizität. Auf einmal spüre ich: Ich will mein Alter jetzt nicht mehr verstecken. Warum auch? Es geht mir nicht mehr darum, immer jünger auszusehen und dadurch schöner zu werden, sondern ich beschließe, dass ich älter werden kann UND schön bleiben darf.

Auf Instagram entdecke ich Sophie Fontanel, ehemalige Modechefin der französischen Elle, die in ihrem Stream ihren »Grauwerdeprozess« dokumentiert. Aber ich sehe auch, dass sie damit eine Menge Kritiker auf den Plan ruft. Die sechs Jahre ältere Inès de la Fressange, für mich eine der Stilikonen unserer Generation, kommentiert ein Bild von Sophies zweifarbigen Haaren mit den Worten: »Follower der ganzen Welt, haltet sie davon ab #Ideeabsurde.«

Auch ich bin ab sofort den Kommentaren von Freundinnen ausgesetzt, obwohl ich mich nicht komplett der Zweifarbigkeit hingebe. Ich bin nicht so mutig wie Sophie und viele andere Frauen, die unter #grombre ihre Zebrahaare online stellen. Ein Leben mit Kante in den Haaren scheue ich.

Aber mein Friseur macht es mir etwas leichter. Färbt mir Strähnen. Bis der Übergang zumindest um zehn Zentimeter rausgewachsen ist.

Es folgt noch eine kurze Phase des Zweifelns, doch dann stelle ich mich also dem Übergang. Transition, Übergang oder Umbruch, so heißt auf Englisch das Rauswachsen der künstlichen Haarfarbe. Und genau dafür steht für mich auch diese Zeit: Ich befinde mich im Umbruch. Und das spiegelt mein Haar jetzt wider. Ich kann endlich so sein, wie ich bin, und das will ich jetzt auch.

Auf einmal spüre ich es: Mein Haar ist Ausdruck dafür, dass ich mich nicht mehr gesellschaftlichen Konventionen unterwerfen will. All die Energie, die ich im Alter zwischen 40 und 50 Jahren in ein jüngeres Aussehen gesteckt habe, habe ich jetzt für mich. Für neues Lernen, auch über mich selbst.

Oder wie Sophie Fontanel in ihrem Buch Glückssträhnen schreibt: »Sobald es dir nichts mehr ausmacht, was andere über deine eventuelle Schönheit oder verflossene Jugend denken könnten, wird das Paradies auf Erden möglich.«

Grau ist für mich nicht mehr nur eine Farbe, sondern es ist ein Ausdruck meiner Haltung. Ich fühle mich frei.

Beim 79. Geburtstag meiner Mutter im September bin ich die Jüngste am Tisch – und die Einzige mit grauen Haaren oder zumindest mit einem deutlich sichtbaren Ansatz. Meine Tischnachbarin bringt ihre Meinung dazu ganz direkt auf den Punkt: »Ach geh, du siehst doch noch so jung aus. Warum willst du dir das antun?« Tja, der Satz »Graue Haare machen älter« ist genau richtig, denn ich bin ja nun mal älter geworden. Überzeugen will ich niemanden mit meiner Haarfarbe, mich für mein neu erwachtes Selbstbewusstsein rechtfertigen aber auch nicht. Ich bin weder pro graue Haare noch gegen Färben.

Eine Woche nach dem Geburtstag meiner Mutter besuche ich meinen Onkel im Krankenhaus. Auch er mustert meinen Haaransatz – kritisch, wie ich meine – und fragt: »Und du, willst du jetzt grau werden?« Und noch während ich mir eine – wie ich meine – für ein Mitglied dieser älteren Generation passende Antwort überlege, sagt er: »Gut so, es wird dir stehen. Wieso denken eigentlich Frauen, dass sie mit gefärbten Haaren jünger aussehen?«

Ich bin dafür, dass zukünftig alle Frauen einfach mit der Haarfarbe alt werden dürfen, wie sie das wollen, ohne dass andere sich bemüßigt fühlen müssen, es zu kommentieren.

Im April 2019 bin ich wieder bei meinem Friseur. Inzwischen habe ich nur noch bei ungünstigem Licht einen Ansatz, meine Haare zeigen jetzt durch und durch graue Strähnen. Neben mir sitzt eine Frau mit Alupackung auf dem Kopf und hört sichtlich interessiert meinem Friseur und mir zu. Auf einmal unterbricht sie unser Gespräch über meine grauen Haare und sagt: »Wissen Sie, wenn ich Ihre lässige Mischung an Farben hätte, dann würde ich auch schon lange nicht mehr färben. Aber ich wäre ja ganz weiß.«

Komisch, genau das wäre ja eigentlich ich gerne geworden. Aber scheinbar bin ich erst an einem anderen Punkt in meinem Leben gelandet.

Ich weiß inzwischen, wie sehr das Äußere das Innere eines Menschen widerspiegelt. Wer aufhört zu färben, nicht weil es hip ist, sondern weil es einer inneren Haltung entspringt, der wird dafür mit den tollsten Haarfarben belohnt. Denn...

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