Acht Minuten - Roman

Acht Minuten - Roman

von: Péter Farkas

Luchterhand Literaturverlag, 2011

ISBN: 9783641070885

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 859 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Acht Minuten - Roman



(S. 20-21)

Der alte Mann hatte die Socken ausgezogen, er streckte sich lang auf dem Bett aus und deckte sich mit einer Decke zu. Sein Arm lag neben seinem Körper, die Hand locker geöffnet, so lag er auf der Matratze. Sobald sein Körper die gewohnte Lage eingenommen hatte, glitt sein Bewusstsein weich in den eingeübten Zustand, doch hatte die Übung seit langem eine andere Richtung genommen. Er bemühte sich nicht mehr um das Bündeln der Energien, im Gegenteil, er wollte loslassen.

Dabei wurde die Energie langsam und schonend aus seinem Körper gesaugt. Zuerst aus der Hand, dann aus dem Arm, aus den Beinen, und schließlich aus dem Oberkörper. Er hätte keine Daunenfeder halten können, wäre ihm eine zugeflogen. Sein Körper verlor alle Schwere, als wären ihm alle Feststoffe entzogen worden, er trat aus seiner Hülle und verteilte sich im Luftraum. Dabei erbleichte sein Gesicht, das Kinn trat hervor und die Nase spitzte sich zu. Sein Bewusstsein zitterte wie ein Häutchen über dem Wasser. Unter dem Wasser zog sich das Land zurück, und die Erde kehrte nie mehr wieder. Alles wurde von Säften überflutet. Speichel rann ihm aus dem Mundwinkel, unterhalb von Nase und Augen erschienen glitzernde Flecken, die unteren Körper-öffnungen wurden feucht, und doch brannte die Trockenheit in seinen Augenhöhlen, in der Nase und in der Kehle.

Die Zunge wurde zu einem vertrockneten Klumpen Lehm, er roch aus dem Mund und litt unter Atemnot, auch wenn sich sein Brustkorb weiterhin gleichmäßig hob und senkte. Rauch umhüllte sein Gesicht, seine Finger zuckten immer wieder. Sein Bewusstsein zerfiel völlig, ihn schauderte es, nichts da, um ihn zu bedecken, kein Stoff, keine Haut, kein Fleisch, seine Gefäße leerten sich, Kälte überschwemmte alles, kalte Zugluft, die Augen verdrehten sich, der Mund stand offen, in seiner Kehle knisterte es wie trockenes Zellophan. Sein Keuchen wurde langsamer, die Luft strömte nur noch nach außen, sein Atem stockte und setzte schließlich ganz aus.

Als hätte er nie anders dagelegen, auf dem Bett lang ausgestreckt, zugedeckt mit einer Decke, die beiden Arme flach neben dem Körper, in regloser Stille. Dann verengten sich seine Pupillen plötzlich, sein Schädel erzitterte, und er sog die Luft röchelnd ein wie nach einem endlos langen Abtauchen. Die alte Frau schlummerte friedlich auf dem Stuhl oder sie fixierte die auf dem Glas der Balkontür sich spiegelnden Schatten oder sie schlurfte im Zimmer auf und ab, räumte und stellte Sachen um. Dabei sprach sie den alten Mann niemals an. Offenbar dachte sie, er habe sich ein wenig zum Ausruhen hingelegt, denn er lag ja da, lang ausgestreckt auf dem Bett, zugedeckt mit einer Decke, reglos, mit geschlossenen Augen.

Das stand ihm auch zu, der Tag war lang, er plagte sich genug. Soll er doch schlafen. Sie bemerkte niemals etwas anderes am alten Mann, weder das Ab- noch das Auftauchen. Wie hätte sie das auch mitbekommen können, beides war nicht zu sehen. Weder das Ab- noch das Auftauchen. Nur den endlos langen Schlaf und darin die auf und ab flackernden Bilder der Träume.

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