Älter werden - Gespräche über die Liebe, das Leben und das Loslassen

Älter werden - Gespräche über die Liebe, das Leben und das Loslassen

von: Martha Nussbaum, Saul Levmore

Theiss in der Verlag Herder GmbH, 2018

ISBN: 9783806238303

Sprache: Deutsch

272 Seiten, Download: 1502 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Älter werden - Gespräche über die Liebe, das Leben und das Loslassen



Einleitung


In diesem Buch geht es um das bewusste Leben und bestimmt nicht um das Sterben – ob würdevoll oder auf andere Weise. Zu altern bedeutet Erfahrungen zu sammeln, Weisheit zu erlangen, zu lieben, zu verlieren und sich in der eigenen Haut immer wohler zu fühlen, wie viel sie auch an Straffheit verlieren mag. Beim Älterwerden geht es noch um viele andere Dinge. Für manche Menschen könnte es um Reue, um Sorgen, um das Anhäufen von Dingen und um Bedürftigkeit gehen. Es kann auch um ehrenamtliche Arbeit, um Verständnis, Hilfeleistung, Neuentdecken, Vergeben und – mit zunehmender Häufigkeit – um Vergessen gehen. Für diejenigen, die keine finanziellen Sorgen haben, kann es um den Rückzug aus dem Arbeitsleben und die Weitergabe des Vermögens gehen sowie andererseits um das Sparen und Ausgeben von Geld in den vorangehenden Jahren. Viele dieser Überlegungen beziehen sich auf Menschen, die sich selbst noch nicht als Alternde sehen. Doch diese jungen Freunde, Verwandten und Kollegen betrachten die Älteren häufig als Schatztruhen der Weisheit oder als wandelnde Warnungen. Dieses Streben, in den Falten das Gute, oder sei es nur die Weisheit, zu finden, ist mindestens so alt wie Cicero, dessen Werk in unserer sich rasant wandelnden Welt ebenso relevant ist, wie es vor 2000 Jahren war.

Wenn wir, anders als andere Arten, aus unseren Fehlern und Erfolgen lernen, sie aufzeichnen und verbreiten, und zwar auf eine Weise, die die Grenzen der menschlichen Erfahrung erweitern und das Leben nachfolgender Generationen verbessern, dann können wir vielleicht auch Fortschritte im persönlichen Bereich erwarten. Wir haben Fortschritte in der Landwirtschaft, in der Herstellung von Waren und in der Luftfahrt gemacht. Es ist weniger klar, dass uns dies in Bezug auf das Eingehen von Partnerschaften, die Kindererziehung und die Wahl unserer politischen Führer gelungen ist. Vielleicht liegt das daran, dass sich die Probleme in diesen Bereichen ständig verschieben und sich durch schrittweisen wissenschaftlichen Fortschritt im Laufe der Zeit nicht meistern lassen. Das Altern fällt zwischen diese wissenschaftlichen und zwischenmenschlichen Herausforderungen. Im Durchschnitt leben wir länger und angenehmer als unsere Vorfahren. Wir haben mehr Auswahlmöglichkeiten, und von diesen Möglichkeiten handelt dieses Buch.

Wenn wir akzeptieren, dass Altern eine Zeit des Lebens ist, so folgt daraus, dass es etwas ist, das wir gemeinsam haben. Jeder von uns altert auf seine oder ihre Weise, doch wir können von den Erfahrungen anderer lernen. Während sie altern, können sich die Interessen, Verhaltensweisen und Vorlieben von Menschen ändern – häufig auf eine Weise, die die gemeinsamen Erfahrungen bestätigt. Konkurrieren wir, wenn wir älter werden, mehr oder weniger? Sind wir mehr oder weniger spirituell? Sparsam? Bedürftig? Neidisch? Tolerant? Großzügig? Wir benötigen möglicherweise Freunde, die uns helfen, diese Veränderungen zu erkennen und darüber nachzudenken, ob sie wünschenswert sind. Wenn eine isolierte Person beobachtet und reflektiert, ist es schwierig zu erkennen, ob sie selbstbezogener geworden ist, Kritik besser akzeptiert, anderen mehr Angst einflößt oder unzumutbarere Forderungen an die Mitglieder der Familie stellt. Zur Selbsterkenntnis könnten daher Freundschaften und Gespräche erforderlich sein, und wir hoffen, in diesem Buch in dieser Beziehung ein Beispiel zu sein.

Wir zeigen verschiedene Perspektiven auf Themen, die im Zusammenhang mit dem Altern stehen, mit dem Ziel, das Gespräch untereinander und mit unseren Lesern fortzusetzen. Einige unserer Kapitel sollen Familien dabei helfen, sinnvolle Gespräche über Dinge zu führen, die sie besprechen sollten, bevor Invalidität oder Tod dazwischenkommen. Wir ermutigen zu Nachdenklichkeit und Kommunikation über Themen, die oft als peinlich oder vertraulich angesehen werden. Nur wenige Menschen sprechen mit Außenstehenden über die Probleme, mit denen sie bei der Weitergabe von Eigentum an ihre Kinder konfrontiert sind, insbesondere wenn die Kinder sich in unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen befinden, schwierig waren oder geschieden wurden. Ebenso sprechen nur wenige Menschen ernsthaft über philosophische Fragen, wie etwa über das Wesen der eigenen Sehnsucht nach immerwährendem Einfluss. Schließlich sind sich die meisten Menschen der physischen Veränderungen während des Alterns durchaus bewusst, und dennoch ist es ihnen unangenehm über ihren Körper zu sprechen. Dies könnte etwas mit der Art der neu entfachten Liebe und der neuen Liebesbeziehungen unter reiferen Partnern zu tun haben. Wir beschäftigen uns in den folgenden Kapiteln mit solchen Themen. Einer von uns nähert sich ihnen als Philosoph und der andere als Anwalt und Ökonom, der dazu neigt, Dinge in Bezug auf Anreize zu betrachten, doch wir teilen die Überzeugung, dass eine akademische Perspektive praktische Früchte trägt.

Andere Themen sind leicht zur Sprache zu bringen, und für diese versuchen wir, breite philosophische und an Strategien orientierte Perspektiven bereitzustellen. Wir sprechen über das allzu vertraute Problem, Dinge – einschließlich anderer Leute – zu leiten und zu bewältigen, die man nicht vollständig kontrollieren kann. Wir betrachten Altern, genau wie Kindheit, junges Erwachsenenalter und mittleres Alter, als einen Lebensabschnitt. Es hat seine eigenen Rätsel, die nach Reflexion verlangen. Es hat sowohl seine eigenen Genüsse und Freuden als auch Schmerzen. Doch nur wenige über das Alter nachsinnende Werke gehen auf die Rätsel ein, die diese Zeit des Lebens aufgibt; vielleicht deshalb, weil Menschen nicht dazu neigen, das Altern als eine Chance zu betrachten. Unser Ziel ist es, einigen der komplizierten und faszinierenden Fragen nachzugehen, die diese Zeit des Lebens uns stellt. In diesen Fragen geht es mehr um leben als um beenden.

Die Form unseres Buches ist von Ciceros De Senectute (Über das Altern) inspiriert. Dieses im Jahr 45 v. Chr. geschriebene Werk ist als ein Gespräch mit Ciceros bestem Freund Atticus gestaltet, an den er Tausende erhalten gebliebener Briefe adressiert hat. Die beiden waren in ihren Sechzigern, und Cicero, der Atticus dieses Werk in einem Vorwort widmet, sagt, dass sie – obwohl sie noch nicht so alt seien (Römer waren ein gesundes Volk) – im Voraus ernsthaft über dasjenige nachdenken sollten, was das Leben für sie noch bereithält. Die Arbeit sei als eine Ablenkung gedacht, weil beide sich Sorgen über Politik und über Angelegenheiten ihrer Familien machten.

Cicero erfindet einen kleinen Dialog, in dem ein wirklich alter Mann, Cato, der zum Zeitpunkt des Dialogs dreiundachtzig Jahre alt ist – gesund, aktiv, noch immer ein politischer Führer, ein berühmter Gastgeber und Freund sowie ein begeisterter Landwirt –, mit zwei Männern in ihren Dreißigern spricht, die ihn bedrängen, um Auskunft über diesen Lebensabschnitt zu bekommen. Da sie alle möglichen negativen Dinge über das Älterwerden gehört haben, möchten sie wissen, wie er auf einige Einwände antworten würde, die generell gegen diese Lebensphase erhoben werden: dass es ihr an Kreativität fehle, dass der Körper zu nichts mehr fähig sei, dass es keine Freuden mehr gebe, dass der Tod eine ständige, angstbesetzte Präsenz habe. Obwohl sie noch jung sind, so sagen sie, wissen sie, dass sie – wenn sie das Glück haben, dorthin zu gelangen – Cato nachfolgen werden, und fragen nach seiner Innenansicht ihres gemeinsamen Ziels. Cato geht gerne darauf ein, denn eine der großen Freuden des Alters, sagt er, ist das Gespräch mit jüngeren Menschen. In Gestalt seines Cato hat Cicero stets ein größeres Publikum im Blick – Gespräche über viele Themen mit Lesern unterschiedlichen Alters und, wie sich herausstellte, in vielen verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten.

Unser Buch wurde, wie das Ciceros, durch eine Reihe von Gesprächen zwischen Freunden in ihren Sechzigern über den Teil des Lebenszyklus veranlasst, in den wir eintreten. Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass über das Altern zu sprechen angenehm und hilfreich ist, und dass das Thema durch philosophische, juristische und ökonomische Reflexionen wirklich bereichert wird. Wir bieten unseren Lesern Essays zu verschiedenen Aspekten dieses Lebensabschnitts an und zeigen, wie Analyse und Argumentation unterhaltsam sein und Einsichten gewähren können. Wir haben das Glück, über eine dialogische Korrespondenz zu verfügen, mit divergierenden Persönlichkeiten und den Ansätzen unterschiedlicher Disziplinen. Jedes Kapitel umfasst zwei Aufsätze; entweder antwortet der eine auf den anderen, oder er geht an ein bestimmtes Thema auf andere Weise heran. Wie Cicero hoffen auch wir, Leser verschiedener Altersgruppen in ein vielseitiges Gespräch zu verwickeln. Die unsere Diskussion eröffnenden Essays sind durch den ersten Akt von Shakespeares König Lear angeregt, in welchem der alternde König eine Reihe von Fehlentscheidungen über seinen Rückzug aus dem aktiven Leben, die Verteilung seines Vermögens und über familiäre Beziehungen trifft. Es ist ein Werk, das eine Erörterung des Älterwerdens nur schwer umgehen kann. Neuere Aufführungen haben den...

Kategorien

Service

Info/Kontakt