Großvater sein

Großvater sein

von: Eckart Hammer

Klett-Cotta, 2017

ISBN: 9783608109726

Sprache: Deutsch

175 Seiten, Download: 3536 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Großvater sein



Vorwort


Willkommen im Zeitalter der Großeltern! Nie zuvor gab es so viele Großeltern wie heute; zu keiner Zeit erlebten Enkel so viele Großeltern gleichzeitig und hatten mit ihnen eine so lange gemeinsame Lebenszeit; nie zuvor waren Großeltern so fit und aktiv; niemals hatten Großeltern eine größere Bedeutung für Familie und Enkel, vor allem in Doppelverdiener-, Scheidungs- und Patchworkfamilien; nie waren die Generationenbeziehungen besser, hatten Großeltern und Enkel eine so enge Beziehung, wurde diese so positiv bewertet; noch nie war die Großelternrolle für ältere Menschen so bedeutsam wie heute, was unter anderem enthusiastische Buchtitel wie dieser ausdrücken: »Wir neuen Großväter: Der schönste Job der Welt!«1

Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts zeichnet sich diese Großeltern-Konjunktur ab und umso mehr verwundert es, dass die Großelternforschung – zumindest im deutschsprachigen Raum – noch ziemlich unterentwickelt ist. Nur wenige Forschungsarbeiten haben sich explizit mit der Großeltern-Enkel-Beziehung befasst, in regierungsamtlichen Familien- und Altenberichten spielen Großeltern nur eine randständige Rolle. Und wenn Großeltern erwähnt werden, ist bei genauerem Hinsehen meist lediglich von Großmüttern die Rede, für die sich die Sozialpolitik vor allem als Unterstützerinnen für junge Familien interessiert. Großväter werden in der Fachliteratur bis heute meist übersehen, sind bislang weitgehend unbekannte Wesen in Familien-, Männer- und Altersforschung. Sie wurden vergessen und als marginal betrachtet, weil sie im Generationengefüge angeblich keine besondere Rolle spielen. Großväter sind möglicherweise die am meisten unterschätzte Gruppe in unserer Gesellschaft.

Doch längst ist eine Generation von Großvätern am Werk, die sich nicht um diese Ignoranz der Familienforschung schert, sondern mit großem Engagement und Spaß ihre Rolle lebt. Getreu dem holländischen Sprichwort »Großväter sind Väter, die vom lieben Gott eine zweite Chance bekommen haben« ergreifen sie ihre zweite Chance und sind nicht mehr bereit, die Kinder den Frauen zu überlassen. Es sind Männer, die in der Enkelbetreuung nachholen, was sie bei ihren Kindern verpasst haben und dem sie oft schmerzlich nachtrauern. Väter, die nach einem eher familienfernen Berufsleben eine Welt entdecken, von der sie keine Ahnung hatten, wie bereichernd und beglückend diese sein kann. Männer, die spüren, wie wichtig und sinnstiftend diese neue Rolle für ihre persönliche Entwicklung im höheren Lebensalter und für die Lebensabrundung ist.

Großväter brauchen Enkel – Enkel brauchen Großväter. Nicht nur für Großväter, sondern auch für ihre Enkel liegt in dieser so besonderen Beziehung eine wichtige Entwicklungschance. Großväter sind für Enkel eine Brücke in die Welt; sie sind wichtige Betreuungs- und Freizeitpartner mit einem Angebot, das es so oft nur vom Großvater gibt; sie sind in einer sich immer schneller drehenden Welt der verlässliche und ruhende Pol, in stürmischen Familienzeiten der Fels in der Brandung; mit ihrem sichtbaren Älterwerden und Alter sind Großväter schließlich für ihre Enkel auch so etwas wie Lehrmeister der Vergänglichkeit.

Großväter und Enkel leben jedoch nicht in einer exklusiven Zweierbeziehung, sondern sind Teil eines größeren Familien- und Verwandtschaftssystems. Eine gute Enkelbeziehung ist von mancherlei familiären Einflussfaktoren bestimmt, vor allem aber vom Wohlwollen der Eltern. Umgekehrt können allerdings auch Großväter zum Störfaktor in der Eltern-Kind-Beziehung oder auch im Verhältnis der Enkel untereinander werden.

Großväter können jedoch auch Männer sein, die zwar nominell Großväter sind, an denen diese zweite Chance jedoch vorbeigeht. Die einen wollen nicht, tun Enkelbetreuung als angebliche Frauensache ab und lassen sich in den Hintergrund schieben; die anderen können nicht, wären gerne aktive Großväter, können jedoch aufgrund von zu großer räumlicher Distanz keine tragfähige Beziehung zu ihren Enkeln entwickeln; die dritten schließlich verwaisen als Großväter in Folge von Scheidungen oder anderen Familienkonflikten. Und dann ist da schließlich noch die inzwischen wachsende Zahl von Männern, die niemals biologische Großväter werden, weil sie keine Kinder haben oder ihre Kinder kinderlos bleiben. Solche Männer, wie auch alle anderen, die ihre Großvaterrolle nicht wahrnehmen können, können ihre generativen Energien in soziale Großvaterschaft umleiten, sich einem Großelterndienst anschließen, sich in einem der vielen generationsübergreifenden Projekte engagieren, zum Paten oder Mentor für Kinder oder Jugendliche werden.

Dieses Buch will die vielen unterschiedlichen Realitäten von Großvaterschaft ausleuchten, eine Lebensphase, wie sie mannigfaltiger kaum sein könnte und die es deswegen eigentlich verbietet, von dem Großvater zu sprechen. Dies gilt selbstverständlich auch für die hier zusammengetragenen wissenschaftlichen Befunde, die in der Regel statistische Mittelwerte wiedergeben und damit dem jeweiligen Einzelfall im Zweifelsfall nicht gerecht werden.

Mit dieser bunten Bildbeschreibung will dieses Buch Männer dabei unterstützen, ihre persönliche Großvaterschaft zu entdecken, zu gestalten und zu genießen, was eine Pionierarbeit ist, weil die Großvaterrolle in dieser Form von keiner Generation zuvor gelebt wurde und ohne historische Anschauung und Vorbilder ist. Es will dazu ermutigen, die Großvaterrolle aktiv wahrzunehmen, ohne dabei – wie so manches Großelternjubelbuch – die möglichen Schattenseiten aus dem Blick zu verlieren. Angesprochen sind auch jene Männer, die gerne Großväter wären, aber keine eigenen Enkel haben – denn Großvater kann jeder werden. Und dieses Buch richtet sich schließlich an alle, die sich für Großväter interessieren, die mit ihnen zu tun haben und Großväter besser verstehen wollen.

Weil die Großväterforschung noch so unterentwickelt ist, beziehen sich viele Angaben in diesem Buch auf Großeltern insgesamt. Was Großväter von Großmüttern im Wesentlichen unterscheidet, lässt sich in zwölf Thesen zusammenfassen:

  1. Großväter wurden in der Familienforschung bislang weitgehend übersehen, werden marginalisiert oder mit den Großmüttern in unzulänglicher Weise verglichen und als defizitär dargestellt.

  2. Wo vor allem die Großmütter im Blick sind, werden Großväter als »unbeteiligt« oder »unwichtig« definiert, weil sie mit ihren spezifischen Bedürfnissen, Kompetenzen und Potenzialen nicht gesehen werden.

  3. Die Großvaterrolle wird auch von der Männerforschung vernachlässigt, die mit ihrer Fokussierung auf das Erwerbsleben dem alternden und alten Mann überhaupt wenig Aufmerksamkeit schenkt.

  4. Männer müssen sich noch vom jahrhundertealten Klischee des distanzierten, strengen Großvaters absetzen, um in ihrer neuen, fürsorglich zugewandten Rolle gesehen und akzeptiert zu werden.

  5. Männern eröffnet die Großvaterschaft eine zweite Lebens- und Entwicklungschance: Sie können in der Beziehung zu ihren Kindern Versäumtes nachholen, können eine gute (Groß-)Vaterschaft leben und im nachberuflichen Leben neuen Lebenssinn und Erfüllung erfahren.

  6. Großvaterschaft ist für Männer eine wichtige Entwicklungsaufgabe, bei der sie zum einen nochmals frühere Entwicklungsphasen durchleben und andererseits die für das höhere Lebensalter so wichtige Generativität entfalten können.

  7. Großväter müssen sich und ihren Platz aktiv behaupten, um in einer weiblich geprägten Erziehungswelt nicht an den Rand gedrängt zu werden.

  8. Großväter können ihre Söhne in ihrer neuen Vaterrolle unterstützen und für ihre Enkel wichtige Brücken in die Welt und gelegentliche Verbündete gegen eine elterliche Übermacht sein.

  9. Großväter sind wichtig, um das männliche Element in einer zunehmend weiblichen familialen und außerhäuslichen Sozialisationswelt zu...

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