Mobilität und Verkehrssicherheit im Alter

Mobilität und Verkehrssicherheit im Alter

von: Wolfgang Renteln-Kruse, Ulrike Dapp, Lilli Neumann, Jennifer Anders, Franz Pröfener, Paul Brieler, K

Walter de Gruyter GmbH & Co.KG, 2016

ISBN: 9783110392340

Sprache: Deutsch

170 Seiten, Download: 7233 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Mobilität und Verkehrssicherheit im Alter



Jennifer Anders

3Einflüsse auf die Mobilität im Alter


3.1Vorbemerkungen


Diese Buchreihe richtet sich an alle Gesundheitsberufe, die direkt in der Versorgung älterer Menschen tätig sind – oder an alle, die mehr über diese Lebensphase wissen wollen. Dazu wurden aktuelle Ergebnisse der Versorgungsforschung und klinischer Forschung für die Umsetzung in der Praxis der Patientenversorgung aufbereitet.

Dieses Buch ist Teil einer Reihe von Publikationen, die neben wissenschaftlichen Artikeln in Fachzeitschriften einer breiten Leserschaft Ergebnisse und praktische Anwendungen der Hamburger Langzeitstudie zum Älterwerden nahe bringen soll. Eine Übersicht dazu findet sich auf der Homepage der Studie im Internet unter www.geriatrie-forschung/LUCAS.de. LUCAS, die Longitudinale Urbane Cohorten-Alters-Studie, verfolgt bereits seit dem Jahr 2000 den Alterungsprozess einer repräsentativen Kohorte älterer Hamburger Bürgerinnen und Bürger [1]. Dabei sind neben langer Beobachtungszeit die Komplexität der erfassten Einflüsse auf das Wohlergehen der älteren Teilnehmer und ihre interdisziplinäre Interpretation besondere Merkmale der Studie [2]. Auch erlauben unter kontrollierten Bedingungen eingebettete Interventionen an bestimmten Stichproben der Kohorte umfassende Einsichten in die Thematik und insbesondere die zeitnahe Umsetzung in praktische Angebote zur Gesundheitsförderung und gezielten medizinischen Begleitung älterer Menschen [3].

3.2Zum Begriff der Mobilität


Der vorliegende Band widmet sich dem Schwerpunkt Mobilität im Alter. Dazu seien einige Vorbemerkungen gestattet. Bereits auf zellulärer Ebene ist die Fähigkeit zur (gezielten) Fortbewegung neben denen zur Ernährung und Vermehrung eine von drei obligaten Anforderungen an eigenständige Lebensformen vom Bakterium bis zu den höheren Organismen wie den Wirbeltieren. Mit der Komplexität eines Organismus nimmt auch die Komplexität dieser drei Grundeigenschaften zu.

Auf den Menschen angewandt, ermöglichen sie flexible Anpassung auch an schwierige oder wechselnde Umweltbedingungen, den Erhalt der Homöostase und persönlichen Autonomie über das Überleben hinaus als handelndes Subjekt innerhalb einer sozialen Gemeinschaft mit den Möglichkeiten persönlicher Entfaltung und Sinnfindung, Kommunikation und Weitergabe von Gefühlen, Wertvorstellung und Fähigkeiten [4].

Intakte Mobilität ist nicht immer Voraussetzung, aber erleichtert diese Fähigkeiten zumindest wesentlich. Diese bezieht auch psychische „Beweglichkeit“ mit ein, da im Unterschied zum Tierreich ältere Menschen auch nach der Phase der organisch-körperlichen Vermehrung die emotionale und bildende Fürsorge für die jüngeren Nachkommen als existenzielle Merkmale unserer Spezies wahrnehmen. Gerade die älteren Generationen sind bei nachlassenden körperlichen Kräften aufgrund der in Kriegszeiten fast regelhaft erlittenen Traumata in Verbindung mit persönlichen Schicksalsschlägen wie Scheidung oder Verwitwung psychisch vulnerabler [5].

„Mobilität“ ist ein Begriff, der im jeweiligen Kontext einer Fachsprache unterschiedliche Bedeutungen annehmen kann. Mobilität (vom lateinischen „mobilitas“-„Beweglichkeit“) umschreibt die Fähigkeit von Menschen (oder Lebewesen), ihren Standort zwischen verschiedenen Zuständen in ihrer natürlichen oder sozialen Umwelt zu verändern [6].

So meint soziale Mobilität den Wechsel von Personen zwischen sozialen Positionen, oder die intergenerationale Mobilität beschreibt den Schichtwechsel in der Generationenfolge [7]. Arbeitgeber setzen eine Bereitschaft des Wohnortwechsels zugunsten des Arbeitsmarktes oft mit dem Begriff flexible Mobilität des Arbeitnehmers gleich.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Mobilität oft in einer missverständlich verkürzten Weise verstanden, so etwa, über ein Auto zu verfügen oder über ein Mobiltelefon (immer und überall) erreichbar zu sein. Obwohl beide Punkte wichtige Facetten von Mobilität im modernen Leben darstellen [8], sind sie ungeeignet, Komplexität und Bedeutung des Themas für alternde Menschen zu erklären. Im Gegenteil, gerade die erwähnten Punkte verlieren im Alter teils an Bedeutung, wogegen körperliche Gesichtspunkte wie die Fähigkeit zur Bewegung eines Gelenkes im Sinne der Mobilität einer Extremität entscheidend Einfluss nehmen können.

Im Kontext von Betrachtungen zum Alter und deren wissenschaftlicher Begründung im Rahmen von LUCAS ist Mobilität ein Schlüsselthema. Folgende Definition hat sich dazubewährt:Mobilität bedeutet die Fortbewegung zur Planung und Durchführung von Aktivitäten im Handlungsraum einer Person aus eigener Kraft und Antrieb in Anpassung an die Umweltbedingungen.

Dieser Ansatz bezieht sich auf andere Definitionen, die die aktive Mobilität (etwa die Fortbewegung mit dem Rad oder zu Fuß) von Formen der passiven Mobilität (sich fahren lassen) abgrenzt [9]. Auch sind alle endogenen, das heißt, dem Menschen innewohnenden Einflüsse wie Motivation, kognitive Fähigkeit zur Planung oder psychischer Antrieb neben den physischen Voraussetzungen wie einem bestimmten Maß an Muskelkraft primär mit erfasst. Die Gegebenheiten der Umwelt, etwa Barrieren wie Stufen, werden erst sekundär betrachtet – nämlich wenn sie aufgrund eingeschränkter primärer Möglichkeiten zum Problem werden und den Betroffenen zur Suche nach alternativen Bewältigungsstrategien zwingen. Erst dann stehen tertiäre Ansätze wie Hilfsmittel oder personelle Unterstützung im Fokus. Diese Definition wendet dabei Modelle der Medizin ebenso auf den Begriff Mobilität an wie das internationale Modell zur Klassifizierung von Funktionen sowie einzelner Aktivitäten mit ihren Auswirkungen auf die soziale Teilhabe [10, 11].

Dies ist sinnvoll, weil so einerseits alle wesentlichen, meist endogenen Einflüsse auf die Fortbewegung und Aktivität älterer Menschen erfasst werden. Andererseits erlaubt die Einordnung in das ICF–Modell (s. Kapitel 2.2.3 sowie 4.1) die Anwendung etablierter, altersmedizinischer Methoden zur Diagnostik und Therapie etwaiger Störungen. So würde etwa in der Praxis ein Fitnessprogramm für ältere Menschen scheitern, wenn es nicht auch die Frage der Motivation dieser Zielgruppe zu körperlichem Training mit anspräche [12]. Das Führen eines Kraftfahrzeuges und die Fahreignung hängen im Alter neben vermeidbaren und vorübergehenden Beeinträchtigungen etwa durch Alkohol im Wesentlichen auch von der weniger gut zu beeinflussenden individuellen kognitiven Entwicklung ab. Und die Verordnung einer Gehhilfe bei einer im Alter auftauchenden Gangstörung ohne diagnostische Klärung der Ursachen sowie therapeutischer Optionen stellt eine medizinische Fehlversorgung älterer Menschen dar – möglicherweise mit nicht zu unterschätzenden Folgen. Auf diese kurz angeführten Punkte wird hier im Einzelnen eingegangen.

Der Neurophysiologe LURIJA definierte eine Teilfunktion von Mobilität, nämlich die menschliche Motorik, einmal als Produkt von Motivation, Planung und Durchführung einer Bewegung. Die Verwendung weniger Begriffe darf dabei nicht über die komplexen Abläufe hinwegtäuschen, die erforderlich sind, etwa einen Arm zielgerichtet zu bewegen und ein Objekt wie eine Tasse sinnvoll zu verwenden. Erst wenn die Voraussetzungen dazu gestört sind, erschließen sich die vielfältigen Voraussetzungen dazu. Noch anspruchsvoller als die Bewegung eines Körperteiles im Raum ist aber die Fortbewegung der Person selber, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern wiederum im Dienst höherer Funktionen wie etwa eigenständiger Haushaltsführung oder der Erleichterung sozialer Teilhabe (Treffen mit anderen Menschen). Von dieser Warte betrachtet, ergibt sich eine enge Verzahnung der Mobilität im Alter mit dem Grad an Freiheit, die ein älterer Mensch sich einräumen kann [13].

3.3Einflüsse auf die Mobilität im Alter


Aus den einleitenden Überlegungen geht hervor, dass Mobilität eine komplexe Leistung darstellt deren Beeinträchtigung immer, aber besonders im Alter bei verminderten Möglichkeiten der Kompensation, beträchtliche Konsequenzen wie Einschränkungen sozialer Teilhabe oder Beanspruchung personeller Unterstützung als Ausdruck manifester Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen kann.

Zu berücksichtigen sind bei der Beurteilung der (Fähigkeit zur) Mobilität im Alter alle Einflüsse, die Mobilität im Sinne des erweiterten altersmedizinischen Verständnisses direkt beeinträchtigen oder kompensierende Möglichkeiten reduzieren.

Eine körperlich unbeeinträchtigte, aber demenziell erkrankte Person etwa kann sich beispielsweise ungehindert im Raum bewegen, sich aber eventuell nicht mehr räumlich oder zeitlich orientieren oder eine Ampelanlage adäquat nutzen. Dagegen ist eine durch körperliche Erkrankungen wie...

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