Letzte Grüße - Roman

Letzte Grüße - Roman

von: Walter Kempowski

Knaus, 2009

ISBN: 9783641010522

Sprache: Deutsch

432 Seiten, Download: 490 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Letzte Grüße - Roman



17 (S. 174-175)

In Boston wurde Alexander von einem älteren Herrn abgeholt, der zehn Jahre jünger war als Alexander. Er war der Leiter des Instituts, und er trug eine randlose Brille und eine übergroße Baskenmütze. «Auf Boston freuen Sie sich man schon, das ist so, als ob Sie nach London kommen», war gesagt worden. «Und Dr. Neubert ist ein reizender Mann.» Und: «Fischsuppe müssen Sie dort essen, die ist berühmt!» Es war also mit allerlei Verwöhnungen zu rechnen: Sowtschick war gespannt. Drei Universitäten in einer Stadt? Da käme es doch gewiß zu ernsteren Kontakten. Stille Stunden mit Menschen, die Hintergründe in seinen Texten aufdeckten, von denen er selbst keine Ahnung hatte, Verflechtungen der Bücher untereinander und mit seinem Leben. Vielleicht würde man später einmal sagen: «… und dann kam Boston …»

Neubert übergab ihm, eh er’s vergißt, einen Luftpostbrief aus Deutschland, mehrfach abgestempelt: Alexander klopfte das Herz, als er ihn aufriß: die Sache mit dem Dünnbrettbohrer? War die Staatsaffäre aufgebrochen? Sollte es ihm jetzt ans Leder gehen? Am Ende müßte er sofort abreisen? Nein, der Luftpostbrief kam von seinem Sohn, daß er ihm einen Hosenträger mitbringen soll in den US-Farben, Stars and Stripes, den will er sich aus Jux mal anlegen, was die andern wohl dazu sagten …

Ob Sowtschick eine Frau Samson kenne? Gestern habe diese Frau angerufen, sie möchte ihn gern treffen, wenn er wieder retour kommt, vielleicht lasse sich das einrichten? Sei das irgendeine Kindheitsangelegenheit? Nein, eine Frau dieses Namens kannte Alexander nicht. Und: Um Gottes willen! In der Sandkiste habe er mit der gewiß nicht gespielt. Neubert brachte ihn ins Hotel, einen Prachtbau aus dem neunzehnten Jahrhundert mit viel Marmor und Gold, dessen Halle angefüllt war von einer lärmenden Männergesellschaft, die sich «Honeywell» nannte. Irgendeine Touristensache, Männer, die ganz offensichtlich zusammengehörten wie Pech und Schwefel. Schlurften in die Kellerbar und wieder zurück. Einer von ihnen, eine Art Vorsänger, gab den Witzemacher, und die andern lachten dann.

Das hatte einen liturgischen Anstrich. Sowtschick bezog eine hübsche kleine Kabine mit Mahagonischreibtisch, in dem eine Bibel lag. Das Bad war in schwarzem Marmor gehalten, kolossale Messinggriffe, daß man in der Wanne nicht ausrutscht, und Messingwasserhähne über dem von Löwentatzen gestützten Waschbecken. «Hier könnte ich es aushalten, in dieser Schiffskabine, hier könnten sie mich lange suchen …» Er verteilte sein Hab und Gut und ging sofort wieder hinunter in die Lobby, in der sich die Männer von «Honeywell» gerade laut lachend durch die Drehtür hinausschoben. Hipp, hipp, hurra! Jeder mit einem goldenen Ring am Finger, dick wie ein Knoten, den sie wie ein Abzeichen vor sich hertrugen: Wir halten zusammen, bedeutete das. Am Ende handelt es sich um Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, dachte Alexander. Inselspringer aus dem Pazifik?

Mal halbwegs sich ranpirschen an die? Statements von der anderen Seite, wie sie in Gefangenschaft gerieten oder, besser noch, wie sie Gefangene machten? Vielleicht waren das ja Bomberpiloten? Alexander nahm in der Lobby einen strategischen Platz ein, damit er alles mitkriegt, was da kommt und geht, und wenn man längere Zeit auf einem Fleck sitzt, kennen einen die Leute bald und nicken einem zu.

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