Käthi, die Grossmutter - Eine starke Frauengeschichte aus dem 19. Jahrhundert

Käthi, die Grossmutter - Eine starke Frauengeschichte aus dem 19. Jahrhundert

von: Jeremias Gotthelf

e-artnow, 2015

ISBN: 9788026845898

Sprache: Deutsch

350 Seiten, Download: 526 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Käthi, die Grossmutter - Eine starke Frauengeschichte aus dem 19. Jahrhundert



Zweites Kapitel. Der Sonntag nach dem Gewitter


Als endlich der Sonntagmorgen anbrach, schön und klar, das erste Zeichen klang durch die stille Luft, da war es Käthi so recht sonntäglich oder hochzeitlich im Gemüte. Den Frieden störte ihr Verlust nicht mehr. Sie dachte bei sich, Gott habe ein Zeichen getan aus Liebe, woran die Menschen erkennen sollten, daß er der Allmächtige sei und sonst keiner mehr. Es gehe so schrecklich in der Welt und der Abfall sei so groß, daß, wenn es nicht anders komme, die Menschen sich änderten, die großen Gerichtstage einbrechen und alle miteinander zugrunde gehen müßten. Sie freute sich, wie der Pfarrer das Ereignis kräftig anwenden werde, daß es gehe wie ein zweischneidig Schwert in die Herzen und sie bekehre.

Käthi gehörte nicht unter die Kirchenleute, welche lange, ehe der Prediger kömmt, um die Kirche stehen und über die Menschen reden oder über die Kühe. Sie nahm sich zwar jeden Sonntag vor, einmal zu rechter Zeit fertig zu sein, daß sie nicht so pressieren müsse, und jedesmal war sie froh, wenn sie zur Kirche kam, ehe der Gesang zu Ende war, und ohne Schnaufen und Husten. Der Pfarrer hatte zum Text das sechsundzwanzigste Kapitel im Buche Hiob, welches also lautet: »Da antwortete Hiob und sprach: Ei, wie fein hast du geholfen dem, der keine Kraft hat, wie fein hast du errettet den Arm, der keine Stärke hat! Wie fein hast du Rat gegeben dem, der keine Weisheit hat, und hast ihm den Handel nach der Länge erklärt! Lieber, wem hast du diese Reden verkündigt, oder wessen Atem ist von dir ausgegangen? Es wäre kein Wunder, daß die Toten wiedergeboren würden, die unter dem Wasser sind und darinnen wohnen. Die Hölle ist aufgedeckt vor ihm, und das Verderben hat keine Decke. Er breitet die Mitternacht aus auf das Leere, er hängt die Erde an nichts. Er fasset das Wasser zusammen in seine Wolken, und die Wolken zerspalten darunter nicht. Er hält seinen Stuhl, er breitet seine Wolken darauf. Er hat um das Wasser her ein Ziel in die Runde gezogen, bis daß das Licht samt der Finsternis ein Ende nehmen wird. Die Säulen des Himmels erzittern und erstaunen ob seinem Schelten. Durch seine Kraft spaltet er das Meer, durch seinen Verstand schlägt er dessen stolze Wellen nieder. Durch seinen Geist hat er den Himmel gezieret, seine Hand hat erschaffen den Walfisch. Siehe, dies sind Stücke seiner Wege, und wie geringe ist es doch, das wir von ihm gehört haben. Wer möchte den Donner seiner Macht genugsam betrachten?«

Nun stellte er dar Gottes Majestät, Weisheit und Macht, ihr gegenüber die Ohnmacht der Menschen in Einsicht und Kraft, wie töricht also der Übermut sei, wie köstlich dagegen die Demut; wie das eine falsche sogenannte Weisheit sei, welche zum Stolz den Menschen verführe, daß er sich dünke ein selbständig, unabhängig Wesen, dessen Wissen und Vermögen keine Schranken gesetzt seien in der wohlbedachten Einrichtung seines ganzen Wesens; wie dies dagegen die wahre Weisheit sei, welche die herrlichen Gaben des Menschen wohl würdige, ehre, anerkenne als von Gott und sie weihe Gott, aber auch die Schranken sehe, welche Gott selbst gesetzt und gesagt: Bis hieher und nicht weiter, und alle Tage unsere Schwäche erkenne und bekenne, welche kein Haar auf unserm Haupte festigen und unserer Länge keine Linie zusetzen könne, annehmen müsse in aller Ohnmacht, was Gott verhänge, Regen oder Dürre, Gesundheit oder Krankheit, fruchtbare oder unfruchtbare Jahre, Leben oder Tod, Not oder heitere Tage. Sie sollten doch gedenken, was sie dagegen vermocht hätten, als der allmächtige Gott in den letzten Tagen seine Donner rollen ließ, die Wolken spaltete, die Grundfesten der Erde erschütterte. Da hätten sie gezittert und gebebt, und ob es Einem eingefallen sei, dieser Macht sich zu widersetzen oder bei einem sterblichen Menschen Schutz und Erbarmen zu suchen, ihn anzuflehn fürs Ablassen oder sonstige Hülfe gegen die entfesselten Elemente? Da habe Gott gewaltet, und in solchem Walten verstumme jede Afterweisheit und alles lästige Überheben. Nun, nachdem Gott seine Macht gezeigt, erwarte er vom Menschen, daß er den Sinn zeige, welcher in ihm sei, ob er den habe, in welchem in fruchtbaren und unfruchtbaren Jahren, in nötigen oder heiteren Tagen ein großer Segen liege. Der Schaden sei groß, aber wo Liebe und ein christlich Genügen sei, sei er wohl zu ertragen, denn es sei mehr übrig geblieben, als vernichtet worden, mehr als genug, daß niemand Hunger leiden solle. Solche Tage sollten die Liebe anfachen, die brüderlichen Bande enger schnüren, denn in solchen Tagen trete es hervor, wie wir alle vor Gott ohnmächtige Kinder seien, eins des andern bedürftig, und wie solche schwere Tage des Unglücks nur in Friede und Eintracht zu ertragen seien. Schwer hätten so Viele gelitten; aber wenn sie den Sinn erringen könnten, den Hiob mit den Worten ausgedrückt: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt, so hätten sie unendlich mehr gewonnen als verloren. Liebe Kindlein, liebet euch untereinander, rief er ihnen mit Johannes zu. Vielleicht liege schweres Unglück in der nächsten Zukunft, welches nur in Liebe zu überwinden sei; durch den Donner seiner Macht habe der Herr die Schläfer wecken wollen, damit sie noch Zeit hätten, nach der Liebe zu trachten, welche alles erduldet und alles überwindet.

Die Predigt hatte Eindruck gemacht, hatte Armen und Reichen gefallen, denn weder der eine noch der andere war auf Kosten des andern erhoben worden, und wenn auch einige mit der allerneusten Weisheit Behaftete zugegen gewesen wären, so war die Angst noch zu rege in den Herzen, der Donner von des Herrn Macht noch zu unvergessen in den Ohren, als daß sie sich mit ihrem Spotte hervorgewagt hätten. Ihr Glaube ist von der Art, daß er nicht gerne Schläge riskiert, auch mag er die Sonne nicht ertragen; er kömmt am besten fort bei eben rechter Feuchtigkeit und läßt sich am liebsten des Nachts hervor, ungefähr wie die kriechenden Tiere und unter dem Geflügel die Eulen und die Fledermäuse, die eigentlichen Philosophen unter den Tieren. Den Tag ertragen sie nicht; in etwas Licht und sich mehrender Nacht, da tummeln sie sich lustig und machen sich bedeutend, sogar gefürchtet, besonders bei den Frauenzimmern. Ists ganz Nacht geworden, so sieht man bekanntlich gar nichts mehr, weder Philosophen von dieser Sorte noch Fledermäuse noch anderes Vieh.

Käthi hatte besondere Erquickung in der Predigt gefunden; sie kam sich nicht bloß vor als eine arme alte Frau, sondern als ein Kind Gottes, mit welchem der Vater auch gesprochen und welches seinen Beitrag zu leisten habe, damit die Welt gebessert und Gottes Barmherzigkeit ergriffen statt mit den Füßen weggestoßen werde. Es sei traurig, sagte sie einer Nachbarin, welche mit ihr heimging, daß die Menschen nicht wüßten, wie man Nahrung und Kraft in der Kirche finde, sondern meinten, bloß beim Bäcker hole man das wahre Brot, nicht wüßten, wie der rechte Mensch nicht von Bäckers Brot allein leben könne, sondern auch von jedem Wort leben solle, welches aus des Herrn Mund gehe. Das seien ihr doch die allerärmsten Leute, welche dieses wahre Himmelsbrot nicht kennten, keine Nahrung hätten für ihre arme Seele, so daß diese kein Kräftlein mehr hätte zum Dulden, zum Hoffen, zum Trost, zur Heiligung, keinen Teil an der Welt und keinen am Himmel, nichts als Hölle hier und dort, Hölle inwendig und Hölle auswendig.

So wanderte Käthi heim und verwischte den guten Eindruck nicht, weder mit eiteln Worten noch mit eiteln Gedanken. Als sie heimkam, mußte sie feuern, das Mittagmahl bereiten. Der Leib will auch seine Speise, das faßt der Mensch; wollte Gott, er faßte es ebenso gut, daß die Seele ebenfalls der Speise bedürftig ist, auch wenn der Leib die Fülle hat und gesättigt ist bis obenaus.

Käthi hatte weder ein Huhn noch sonst Fleisch im Topfe; es war ihr zu teuer, und den ganzen Morgen Feuer zu unterhalten, fehlte das Holz. Indessen ließ sie doch nicht gerne einen Sonntag verstreichen, ohne etwas Besseres als gewöhnlich auf dem Tische zu haben, wenigstens für Johannesli; das gehörte gleichsam zu ihrer Religion. Es sei nicht ein Tag wie ein anderer Tag, sagte Käthi; derselbe solle mahnen an die guten und heiligen Tage im Paradiese, welche verloren seien, und an die guten und reinen Tage im Himmel, welche verheißen seien, und darum solle der Mensch an diesem Tage reiner und besser leben als an den gemeinen Tagen und ebenfalls inwendig und auswendig. Zumeist kochte sie etwas von Eiern oder was von süßem Obst oder einen Specksalat, oder es erschien gar für einen halben oder gar ganzen Batzen Käse zum Brot. Diesmal hatte sie Eier und Brot geröstet, und zwar in so bedeutender Menge, daß Johannesli sagte: »Heute hast du einmal recht viel gemacht, warum?« Sie wisse es selber nicht, aber was man nicht auf einmal möge, sei ein andermal auch gut, antwortete sie.

Der Sonntagnachmittag hat eine gar eigentümliche Bedeutung. Er ist ein Meilenzeiger auf unserer Pilgerstraße, er ist aber auch eine Geistesprobe für unser Inwendiges. Junge Beine laufen Spiel und Freuden nach, zum Verstande gekommene Beine gehen allerlei nützliche Gänge, alte Beine ruhen gerne auf warmem Ofentritt oder einem sonnigen Bänklein. Sinnliche Gemüter müssen die Beine tragen zu Lust und Tanz, andere pflegen den faulen Leib, andere tragen ihn umher zu allerlei Erwerb, andere verbringen ihn in ungeheurer Langeweile; das sind die öden Seelen, die aller geistigen Speise entwöhnt, den höheren Gefühlen abgestorben sind, die für nichts mehr Gefühl haben als für das Werktagstreiben, das Geklatsch des Tages, einen guten Schoppen und eine appetitliche Bratwurst. Andere gibts denn doch auch, die ihn feiern, indem sie dem Wehen des Geistes die...

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