Alzheimer ist heilbar - Rechtzeitig zurück in ein gesundes Leben

Alzheimer ist heilbar - Rechtzeitig zurück in ein gesundes Leben

von: Michael Nehls

Heyne, 2015

ISBN: 9783641175672

Sprache: Deutsch

368 Seiten, Download: 1995 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Alzheimer ist heilbar - Rechtzeitig zurück in ein gesundes Leben



KAPITEL 2

Alzheimer: Die Fakten

»Ohne Gesundheit können sich Wissen und Kunst nicht entfalten, vermag Stärke nichts auszurichten, und Reichtum und Intelligenz liegen brach.«

HEROPHILOS VON CHALKEDON (330–255 v.Chr.)

Alzheimer, die häufigste Form von Demenz

Als Demenz bezeichnet man im Allgemeinen eine Erkrankung des Gehirns, mit zum Teil schweren Einbußen im Denken und einer Beeinträchtigung der emotionalen und sozialen Fähigkeiten des betroffenen Menschen. Für einen Verlust des Verstandes gibt es viele Gründe. Diese reichen von einer akuten Alkoholvergiftung, die nur kurzzeitig auftritt, oder einem entgleisten Blutzucker bis hin zu chronischen Schädigungen des Gehirns, wie zum Beispiel nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma durch einen Unfall. Aufgrund der enormen Vielfalt der Ursachen ist vor jeglicher Therapie eine sorgfältige Diagnosestellung unerlässlich.

In Industriestaaten liegt einer chronischen Demenz in etwa einem Drittel der Fälle eine gestörte Blutversorgung des Gehirns zugrunde. Die Ursache dafür ist meist eine Schädigung der Blutgefäße, weshalb man auch von einer vaskulären (die Blutgefäße betreffenden) Demenz spricht. Auslöser kann entweder ein einzelner schwerer Schlaganfall sein, bei dem ein größeres Blutgefäß verstopft, oder aber eine massive Blutung aus einem geschädigten Blutgefäß. Beides stört die Sauerstoffzufuhr der empfindlichen Hirnzellen, wodurch sofort sehr viel Gewebe zerstört wird. Meist ist die vaskuläre Demenz jedoch die Folge einer langen Serie vieler kleiner Schlaganfälle, die häufig unbemerkt bleiben, bis sie in ihrer Summe so viel Hirngewebe geschädigt haben wie ein größerer Schlaganfall. Auch ohne dass es zu einem Schlaganfall kommen muss, behindert eine verminderte Blutversorgung durch arteriosklerotisch verengte Blutgefäße zunehmend die geistige Leistungsfähigkeit eines Menschen.

In fast zwei Dritteln aller Fälle handelt es sich bei einer chronischen Demenz jedoch um Alzheimer. In den USA ist diese schreckliche Krankheit schon auf Platz drei der häufigsten Todesursachen vorgerückt.1 Jede zweite Frau und jeder dritte Mann wird an Alzheimer erkranken. Die Krankheit führt etwa sechs bis acht Jahre nach Diagnosestellung zum Tod, wobei diese Zeitspanne sich in Einzelfällen dramatisch auf wenige Monate verkürzen kann. Allerdings ist es genauso gut möglich, dass Menschen danach noch weitere 20 Jahre leben.

Der Hippocampus: Ursprungsort der Alzheimer-Demenz

Im Gegensatz zur vaskulären Demenz, die überall im Gehirn entstehen und somit ihre Auswirkungen zeigen kann, beginnt Alzheimer in einem eng umschriebenen Bereich unseres Gehirns, am Eingang zum sogenannten Hippocampus. In Anlehnung an die »vaskuläre Demenz« könnte man die Alzheimer-Erkrankung deshalb auch als »hippocampale Demenz« bezeichnen. Allerdings bleibt sie nicht auf den Hippocampus beschränkt. Während sie diesen zerstört, breitet sich die Krankheit im restlichen Gehirn aus.

Der etwa daumengroße Hippocampus verdankt seinen Namen seiner äußeren Form, die an ein Seepferdchen erinnert. Diese spezielle Hirnregion ist die Zentrale für das Speichern unserer persönlichen, autobiografischen Erinnerungen. Und damit wir auch bestimmt keine Episode unseres Lebens vergessen, die womöglich für unser Überleben von Bedeutung sein könnte, hat uns die Natur mit zwei Hippocampi ausgestattet, jeweils tief im Bereich der beiden Schläfen, wie in Abbildung 1 zu sehen. Trotzdem sprechen wir im Weiteren vereinfachend nur vom Hippocampus.

Abb. 1: Dreidimensionale Lage der Hippocampi im Schläfenbereich des Großhirns. Darüber liegt die neue Hirnrinde, der Neocortex.

Alles, was der Hippocampus an Erinnerungen speichert, muss einen Bezug zum Ich haben und mit Emotionen verbunden sein. Auf diese Weise gibt uns der Hippocampus nicht nur eine persönliche Vergangenheit, sondern auch eine Identität. Denn schließlich ist unser Selbst die Summe all unserer Erfahrungen. Ohne Erinnerungen hätten wir keine Identität und keine Vergangenheit. Unsere Lebensuhr tickt sozusagen in Erinnerungen. Verlieren wir die Fähigkeit, uns zu erinnern, bleibt sie stehen. Und da sie sich im Hippocampus befindet, wird nun auch klar, weshalb unsere Erinnerungsfähigkeit, also unser Selbst, als Erstes leidet, wenn diese Zentrale der Selbstentwicklung durch Alzheimer zerstört wird.

Das Alzheimer-Gehirn

Eine Alzheimer-Demenz galt lange erst dann als sicher diagnostiziert, wenn der Pathologe das Gehirn eines Verstorbenen aufgeschnitten hatte und sowohl die groben Veränderungen als auch die typischen feingeweblichen Merkmale der Alzheimer-Erkrankung erkennen konnte. Als Alois Alzheimer im Jahr 1905 das Gehirn seiner inzwischen berühmten Patientin Auguste Deter untersuchte und die ungewöhnlichen, aber für diese Form der Demenz typischen Zeichen zum ersten Mal entdeckte, war sie also bereits tot – und eine neue Krankheit beziehungsweise die ersten Erkenntnisse über sie geboren (siehe Abbildung 2).

Kennzeichnend für die Alzheimer-Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium sind die bei der Obduktion schon mit bloßem Auge sichtbaren Veränderungen, wie die deutlich vergrößerten Hirnkammern, die ausgeprägte Verdünnung der Hirnrinde (in der sich die Körper der Nervenzellen befinden) und eine auffallend verminderte weiße Substanz (in der sich hauptsächlich die Fasern der Nervenzellen befinden). Unter dem Mikroskop sind einige feingewebliche Auffälligkeiten typisch und, wenn sie gemeinsam auftreten, wichtig für die Diagnose. Dazu gehören tote und sterbende Nervenzellen mit fibrillenartigen Einlagerungen sowie die sogenannten Grabsteine des Gehirns, das sind amyloide (kleberähnliche) Plaques, die sich außerhalb der Nervenzellen befinden. Eingekreist in den in Abbildung 2 gezeigten Schnitten ist jeweils die Lage des Hippocampus in einem gesunden und einem an Alzheimer erkrankten Gehirn.

Abb. 2: Frontalschnitt durch zwei Gehirne. Im erkrankten Hippocampus (Kreis rechts) haben sich die für Alzheimer typischen amyloiden Plaques (Grabsteine des Gehirns) gebildet. In den sterbenden Nervenzellen sind die charakteristischen Tau-Fibrillen zu sehen.

Inzwischen weiß man, dass Mischformen zwischen einer »hippocampalen« Alzheimer-Demenz und einer »vaskulären« Arteriosklerose-Demenz recht häufig sind. Das liegt zum einen daran, dass die primären Ursachen, die auf Dauer zur Schädigung des Hippocampus beziehungsweise zu der der Blutgefäße führen, meist dieselben sind. Zum anderen verstärken sich beide Krankheitsprozesse gegenseitig, sobald sie in Gang gekommen sind. Das klingt zunächst schrecklich, hat aber auch einen gewaltigen Vorteil: Wenn Sie eine hippocampale Demenz, sprich einen beginnenden Alzheimer therapieren, indem Sie die Ursachen beseitigen, werden Sie damit ebenso eine vaskuläre Demenz abwenden oder zumindest eine Verschlimmerung aufhalten. Dasselbe gilt natürlich auch für die Prävention.

Deshalb ist es gut, dass heutzutage die Diagnosestellung nicht mehr nur post mortem (nach dem Tod) möglich ist, sondern durch bildgebende Verfahren und klinische Tests schon weitaus früher – im Prinzip schon Jahrzehnte, bevor die ersten Symptome überhaupt auftreten. So können demenzpräventive Maßnahmen früh eingeleitet werden.

Krankheitsbeschleuniger: Defekte Gene

In etwa 99 Prozent aller Fälle von Alzheimer sind keine Gendefekte nachweisbar. Es handelt sich dann um die sogenannte sporadisch auftretende Form. Sie tritt typischerweise nach dem 65. Lebensjahr auf. Überaus selten wird der Krankheitsprozess durch ein defektes Gen beschleunigt. Weltweit sind nur wenige Hundert Familien von solchen vererbbaren Mutationen betroffen. Der Krankheitsverlauf dieser genetischen Form unterscheidet sich jedoch in nichts von dem der sporadischen, allerdings tritt die Krankheit oft deutlich vor dem 65. Lebensjahr auf, weshalb ich die mutierten Alzheimer-Gene eher als Krankheitsbeschleuniger denn als Krankheitsverursacher betrachte.

Die größte Familie, in der eines dieser seltenen Alzheimer-Gene von Generation zu Generation weitergegeben wird, lebt in einer entlegenen Gebirgsregion von Antioquia im Norden Kolumbiens. Lange Zeit wähnten sich die Familienangehörigen unter einem Fluch. Doch inzwischen ist der für das frühe Leid der Betroffenen verantwortliche Gendefekt identifiziert; er wurde wohl vor etwa drei Jahrhunderten von einem baskischen Einwanderer eingeschleppt. Diese vererbte Form der Alzheimer-Krankheit bricht im Durchschnitt im Alter von 47 Jahren aus. Da die Träger des Gendefekts zu diesem Zeitpunkt meist schon für Nachwuchs gesorgt haben, kann die Krankheit auch nicht verschwinden. Jeder Nachkomme bekommt mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit das mutierte Gen vererbt. So tragen mittlerweile etwa 5000 Familienmitglieder dasselbe Alzheimer-Gen in ihrem Erbgut.

Das Erkrankungsalter der Mitglieder der Großfamilie variiert allerdings erheblich. Manche erkranken mit 34, andere erst mit 62 Jahren. Das ist merkwürdig, tragen doch alle dieselbe Mutation in ihrem Erbgut. Die Wissenschaftler, die den Gendefekt untersuchten, vermuteten schon 1997, dass für die große Variabilität die jeweilige individuelle Lebensweise der Betroffenen verantwortlich sein könnte.2 Dies könnte bedeuten, dass der Gendefekt möglicherweise nicht einmal die primäre Ursache ist, sondern eben nur ein Beschleuniger eines Prozesses, der ganz andere...

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