Träume altern nicht - Wie ich mit 86 Jahren auf den roten Teppich kam

Träume altern nicht - Wie ich mit 86 Jahren auf den roten Teppich kam

von: Johanna Penski, Alice Huth

mvg Verlag, 2015

ISBN: 9783864157127

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 8215 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Träume altern nicht - Wie ich mit 86 Jahren auf den roten Teppich kam



I
Mädchenträume


Oft wache ich morgens auf und denke, ich träume. Im Alter habe ich mir einen Wunsch erfüllt, der mich schon als kleines Mädchen beseelte. Vor bald 90 Jahren, in Treptow, einer Kleinstadt bei Kolberg. Damals ahnte ich nichts von den großen Umbrüchen, die das 20. Jahrhundert für uns bereithielt.

Ich liebte das Tanzen, und ich verehrte die deutschen Schauspieler. Eines Tages wollte ich Filmluft schnuppern, koste es, was es wolle.

Ich war kaum sechs Jahre alt, als ich vor dem Mietshaus, das ich mit Mutter, Vater und meiner Schwester Frieda bewohnte, die Straße entlangtanzte.

Stars und Sterne


Es ist Sonntag. Mutter hat mir eines der Kleider aus dem schweren Bauernschrank angezogen, der beinahe den ganzen Flur einnimmt, sie hat mir eine seidige Feder ins Haar gesteckt und mir einen Klaps gegeben. Mit drei Sätzen fliege ich die ausgetretenen Steinstufen hinunter, auf den Lippen eine jener Melodien, die Mutter in der Küche singt, und die direkt ins Blut gehen. Ich drehe mich, wilder, schneller. Atemlos die Straße vor unserem Haus hinunter. Das Klappern meiner Sandalen auf dem Kopfsteinpflaster, der Geruch von Holzkohle, das Lied, das mir das Herz hebt. Erst am Haus des Töpfers halte ich inne und sehe zu den Nachbarhäusern empor. Die Nachbarn rechts und links von uns und meine Mutter haben die Vorhänge beiseitegezogen, sie winken und applaudieren. Ich knickse nach allen Seiten, glücklich.

Dieses Gefühl aus meiner Mädchenzeit habe ich nicht vergessen. Ich habe es abgelegt, wie man ein geliebtes, aber aus der Mode gekommenes Kleid in die hinterste Ecke des Schrankes packt. Es passte nicht in mein Leben, zu Krieg, Flucht, Wiederanfang, es wurde übertönt vom Lärm und den Gefahren des Dritten Reichs, von der Geschäftigkeit der Nachkriegszeit und vom Schweigen nach dem Mauerbau. Im Alter kam dieses Gefühl zurück, das war wie ein kleines Wunder. Plötzlich war alles wieder da: die Freude am Spiel, an der Verwandlung. Die Lust und die Scheu, mich zu zeigen. Dieses köstliche Gefühl.

Fräulein Heinze und der Männerchor


Mein Vater war Schlossermeister in Treptow, ein strenger, korrekter Mann mit preußischen Idealen. Für uns Mädchen hatte er wenig Lob übrig, aber er liebte die Musik und brachte großzügig jene alten Lieder in unser Leben, von denen ich bis heute kein Wort vergessen habe. Sonntags sang er beim Schuhputzen rheinische Lieder, während seine drei Frauen noch in den Kissen lagen und träumten. Meine Mutter, meine Schwester Frieda – Fried­chen – und ich, Hanni, teilten uns anderthalb Zimmer mit ihm, aber eng wurde es uns nie. Gleich hinter dem Mietshaus, in dem wir wohnten, floss die Rega ruhig in ihrem grünen Bett und nur ein paar Straßen weiter lagen Fräulein Heinzes Säle, wo meine Mutter kellnerte. Wie das vornehme Fräulein zu einem Tanzlokal kam, in dem sie auch Bier ausschenkte, weiß ich nicht, aber wir liebten ihr Haus, als wäre es unser eigenes. Samstags fuhren meine Schwester und ich auf der blank gewienerten Tanzfläche Rollschuh, und wenn der Vater mit seinem Gesangsverein, dem »Männerchor Frohsinn«, auftrat, saßen wir in der ersten Reihe, stolz bis in die Haarspitzen. Auch meine Großmutter arbeitete für das Fräulein, noch heute sehe ich sie mit zwei Eimern Koks, die die riesigen Kohleöfen im großen Saal befeuerten, schwerfällig über den Hof gehen. »Lat mik in Ruh, Mäken«, sagte sie in ihrem lustigen Platt, wenn ich ihr Hilfe anbot, und ihre Augen blitzten vor Stolz, gebraucht zu werden. Die Frauen in meiner Familie gaben uns Mädchen etwas mit, für das ich bis heute dankbar bin. Sie brachten uns bei, dass Bescheidenheit und Stolz Geschwister sind. Dass eins ohne das andere wertlos ist.

Meine Mutter kochte mit derselben Hingabe Kirschklieben, mit der sie älteren Damen in weißer Schürze Kuchen servierte oder uns Kleider nähte. Im Winter, wenn Eisblumen am Fenster glitzerten und wir in unserer geheizten Stube zusammenrückten, setzte sie sich abends mit ihrer Singermaschine an unsere Betten und nähte die halbe Nacht durch. »Bin ich auch nicht zu laut?«, fragte sie und wusste doch, dass das Rattern der fußbetriebenen Nadel uns wie eine kleine Nachtmusik ins Reich der Träume begleitete. Unser erster Blick am Morgen ging dann zum Kohleofen, in dem noch Zeitungsasche glomm. Davor hatte die Mutter ihr Nachtwerk für uns bereitgehängt, ein Hemd, einen Rock oder ein Dirndl, das sie aus einem geblümten Bettbezug genäht hatte. Denke ich heute an diese Zeit zurück, erscheint es mir, als wäre das Leben damals langsamer gewesen und von einer größeren Intensität.

In Treptow hatten wir nicht viel, aber es fehlte an nichts. Mein Vater brachte sogar das Geld auf, Friedchen auf die höhere Töchterschule zu schicken, wo sie Französisch und Englisch lernte und mit den Kindern des Arztes auf Du und Du war. Von Geburt an hatte meine Schwester ein kürzeres Bein, und wenn sie schon keinen Mann abbekäme, sollte sie wenigstens eine gute Ausbildung haben. Gegen die Empfehlung meines Lehrers besuchte ich nur die Volksschule. Ich lernte gern, aber genauso gern träumte ich. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, meinen Eltern krummzunehmen, dass mir eine bessere Ausbildung versagt blieb. Das Abitur konnte sich eben nicht jeder ­leisten – und gottlob hatte ich zwei gleich lange Beine, die mich einmal vor den Altar tragen würden, an der Seite eines schmucken jungen Mannes.

Wenn der Vater eine JUNO-Packung aufriss, um sich eine Zigarette anzuzünden, hielt ich die Hand auf. In jedem Päckchen steckte das Abziehbild eines UFA-Stars, Marlene Dietrich, Zarah Leander, Emil Jannings, Johannes Heesters und 100 andere. Stundenlang betrachtete ich die schönen, ebenmäßigen Gesichter. Sie sahen aus, als kennten sie ein Geheimnis, das ich nur ahnen konnte, als fände ihr Leben auf einem anderen Planeten statt, in einer fernen Dimension. So gesehen eröffnete mir die Zigarettenpackung meines Vaters einen Blick in die Sterne. Ich weiß nicht mehr, von wem ich das große Album geschenkt bekam, das ich hütete wie einen kostbaren Schatz. »Im Reiche des Films« stand in geschwungener Schrift auf der ersten Seite, und beim Umblättern knisterte das Papier. Darin war Platz für Dutzende Bildchen.

Heute, da ich mit Wim Wenders gedreht habe und hinter der »schnellen Gerdi« im Taxi durch Berlin-Mitte gefahren bin, weiß ich, dass Leinwandgrößen auch Menschen sind. Das Drehen hat mich an Orte geführt, die ich nicht kannte, und mir Kapitel der deutschen Geschichte gezeigt, von denen ich nichts geahnt habe. Für mich wurde aus einem Mädchentraum eine Welt, in der sich das wahre Leben zeigt – und die doch schöner ist, als ich sie mir erträumt hatte. Heute weiß ich, dass du deine Träume hegen musst, solange sie im Verborgenen blühen. Irgendwann kommt ihre Zeit.

Trugbilder


Das ruhige Glück meiner Kinderjahre machte in den 30er-Jahren einem Eifer Platz, den ich viel zu spät zu deuten vermochte. Hitler verdrehte uns jungen Mädchen buchstäblich den Kopf, er entfachte das Feuer, den Mut und die Leidenschaft, die in unseren Herzen loderten, und wir brannten wie Reisig für seine Ziele. Alles war Aufbruch, verheißungsvoll. Im BDM wurde ich Gruppenführerin, wir sangen, trieben Sport und lernten. Meine schwarz-weiße Uniform trug ich wie eine Auszeichnung.

Als der Krieg begann, glaubte ich an seine Richtigkeit, ja Notwendigkeit, und als später der freundliche Schneider Anton Silberberg verschwand, bei dem die Mutter gern Stoff kaufte, ließ ich mich mit einer Erklärung abspeisen, die mir heute die Schamesröte ins Gesicht treibt. Die Juden wären Kapitalisten, hieß es, sie müssten lernen zu arbeiten, und das wolle man ihnen nun beibringen.

Bald war von Mobilmachung die Rede, von Essensrationierung, von der Ostfront und dem Endsieg. Begeistert steckten wir Mädchen die Köpfe zusammen. Endlich würden wir mit eigenen Augen sehen, was wir aus den Gesprächen der Erwachsenen nur andeutungsweise verstanden und was so ungeheuer spannend schien. Wir witterten ein Abenteuer, wo nur Zerstörung war. Unmerklich verloren unsere Träume ihre Unschuld.

Auch den Film spannten die Nazis für ihre Ziele ein, Veit Harlans Jud Süß machte mir das Kino unheimlich, und die Bilder der Wochenschau, in der gezeigt wurde, wie Polen »Volksdeutsche« quälten, erfüllten mich mit einer Angst und Unruhe, die bis in die Morgenstunden anhielt und auch im hellen Tageslicht nicht verschwand. Als man in Fräulein Heinzes Sälen ein Lazarett einrichtete, sahen wir das wahre Gesicht des Krieges. Den Schmerz und das Leid. Wunden, für die es keine Heilung gab. Wie ich mich nun für meine Neugier schämte.

Etwa fünf Kilometer nördlich von Treptow lag eine Psychiatrie, Irrenanstalt, sagten wir damals. Ich war nie dort gewesen, kannte aber die Geschichten der Pfleger, die Fried­chen und mich mit einer Mischung aus Faszination und Grauen erfüllten. Irgendwann hieß es, in den Räumen der Anstalt habe man ein weiteres Lazarett errichtet, dort könnten wir Jungmädel uns nützlich machen. In der Hitze des Kriegssommers schulterten wir unsere Rucksäcke und liefen singend über die Felder, in drei geordneten Reihen. Damals war uns kein Weg zu weit, wenn es um das Wohl deutscher Soldaten ging.

Als wir auf dem weitläufigen Gelände ankamen, war von den »Irren« keine Spur. Müde Gesichter und hungrige Blicke über zerschlissenen Uniformen, der Geruch von Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel, das Weiß der Ärztekittel, daneben unsere unerschöpfliche Tatkraft, wir wollten helfen, nur helfen. Wo aber waren die Menschen, die hier gelebt...

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