Komm mir nicht mit Tai Chi! Vorbild fürs Älterwerden

Komm mir nicht mit Tai Chi! Vorbild fürs Älterwerden

von: Sigrid Klara Kumpe-Rook

engelsdorfer verlag, 2013

ISBN: 9783954882748

Sprache: Deutsch

145 Seiten, Download: 357 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

geeignet für: geeignet für alle DRM-fähigen eReader geeignet für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones Online-Lesen


 

eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Komm mir nicht mit Tai Chi! Vorbild fürs Älterwerden



Alles eben, was mir gut tut


Helene, 73 Jahre

verheiratet, 2 Töchter, 6 Enkelkinder, Kindergärtnerin, pensioniert

Ich war Kindergärtnerin. Das war praktisch, da konnt’ ich die Kinder zur Arbeit mitnehmen – bis sie zur Schule kamen. Ich hab nur halbe Tage gearbeitet, nur morgens. Als meine ältere Tochter zur höheren Schule ging, hab ich ganz aufgehört, obwohl ich mittags ja zuhause war. Und ich weiß noch, wie meine Tochter gesagt hat: „Mein Gott, Mama, ist das schön, dass du jetzt immer hier bist!“ Also empfinden Kinder das doch, wenn die Mutter da ist. Als die Kinder schon größer waren – wann, das weiß ich gar nicht mehr so genau, vielleicht war es ein Jahr oder zwei Jahre später –, hab ich dann angefangen in einer Boutique in der Stadt. Das ging auch ganz gut, weil ich mittags zu Hause war. Zuerst an einem Tag und dann zwei Tage, und so hat sich das immer ein bisschen mehr gesteigert. Zum Schluss sogar ganze Tage, da waren die Kinder aber schon so weit, dass sie selbständig waren. Die Inhaberin der Boutique und ich wir waren befreundet hinterher, und sie hat gedacht, wir können zusammen in Rente gehen, weil sie überlegt hat, den Laden zuzumachen. Aber das zögerte sich immer länger raus, und ich hatte auf einmal keine Lust mehr. Und wenn du keine Lust hast, dann hat das keinen Sinn mehr, oder? Dann kannst du auch nicht verkaufen, da stehst du nicht mehr dahinter, und das ist mir nachher so gravierend aufgefallen. Ich bin immer gerne gegangen; ich musste ja nicht arbeiten in dem Sinne, und da hab ich gedacht: „Oh Gott, wenn du morgens schon denkst, jetzt musst du da wieder hin!“ Und da hab ich ihr gesagt: „Nee, ich hab keine Lust mehr!“ Und die sagte immer: „Mein Gott, bleib doch noch ein bisschen!“ Ich hab aber aufgehört, und da war sie dann ein bisschen knatschig, aber sie hat dann noch zig Jahre weitergemacht. Das waren so an die 20 Jahre, dass ich da gearbeitet hab. Ich weiß nicht mal genau, wie lange ich schon zuhause bin – wann ich da aufgehört hab –, ich hab kein Jahresgedächtnis; jedenfalls schon vor einigen Jahren; ich war älter als 60; mein Mann war schon in Rente. Ja und weißt du, wenn der Mann zuhause ist, ist auch nicht gut. Wir wollten auch gerne mal mit dem Rad fahr’n, und das fällt ja alles flach, wenn du nicht zuhause warst. Jetzt fahren wir viel mit’m Fahrrad, auch schon mal nach Moers oder Krefeld oder irgendwo anders hin und trinken da ’ne Tasse Kaffee. Ich hatte ’ne ganze Zeit vier alte Leute zu versorgen: meine Schwiegermutter, ’ne Tante und noch ’ne Tante, die bei meiner Mutter wohnte; ja und zum Schluss noch meine Mutter. Meine Mutter ist inzwischen gestorben und dadurch war ich auch nicht mehr gebunden. Als das alles hinter mir lag, da hatte ich mal ein bisschen Freiheit.

Ich war eine der ersten, die in den Kurs gekommen ist. Frank, unser Kursleiter, ist der Jüngste, denk ich. Ja, einen Jüngeren haben wir nicht. Ich mag ihn sehr gerne; er hat ’ne Art, die anspricht; er ist nie irgendwie – wie soll ich sagen? – unangenehm! Also, ich bin rundum mit ihm zufrieden, auch wenn er was erklärt. Der Frank macht das sehr gut. Ich muss sagen, alle die geblieben sind, sind von ihm angetan und von seinen Übungen halt auch.

Ich hab ja immer schon mal versucht, meinen Mann zu aktivieren mitzukommen, aber das will er nicht. Er hat ja immer viel Sport gemacht, aber er will halt nicht in einen Verein oder ’ne Gruppe, wie wir das sind; manche haben ja was dagegen. Obwohl …, ich denke: ‘Dann tust du auch was!’ Ich find das gut. Wenn der Kurs halt eben immer jeden Montag ist, wenn du weißt, da sind Leute, die warten auf dich, dadurch hast du immer den Anreiz, wirklich auch zu gehen. Ist doch so!? Sonst hast du 100.000 Ausreden und denkst: ‘Ach nee, heute is’ dir nicht so gut, und das Wetter is’ nicht toll!’ Ich hab mal ’ne ganze Zeit lang Joga hier zuhause gemacht, aber nachher erfindest du lauter Sachen, dass du dann schlabberst: ‘Keine Zeit! Keine Lust! Hach, dir geht’s nicht so gut!’ Fast alle sind im Alter so ein bisschen jünger oder ein bisschen älter – ist ja nicht schlimm. Ja ansonsten ist das so ’n alter Stamm, sag ich mal; andere haben immer mal gewechselt. Ich hab letzthin noch eine auf der Straße getroffen, die ist in ’nen anderen Kurs gegangen; die wollte mehr Remmidemmi haben, die wollte mehr Aerobic machen oder so was in der Art. Und das wollen wir ja alle nicht, dazu sind wir einfach nicht mehr jung genug.

Die Helga und die Brunhild aus unserem Kurs kenn ich ja schon ewig; die sind bei mir in der Klasse gewesen. Und seitdem hält die Freundschaft auch. Wir gehören zu unserem kleinen Kreis, das sind zehn Frauen, die treffen sich immer reihum Zuhause. Wir waren alle auf der Realschule in einer Klasse, in der 5 e. Aber der Kreis hat sich viel später gebildet, damals waren wir alle schon längst aus der Schule. Erst verlierst du dich ja so ’n bisschen aus den Augen, wenn du eine Familie gründest. Ich weiß noch, ich hab meine Tochter aufm Gymnasium angemeldet, da traf ich die erste wieder. Und dann hat die eine die andere getroffen und hat gesagt: „Können wir uns denn nicht mal alle zusammen treffen?“ Und so ist das entstanden. Also es ist so ein richtig netter Kreis, auf den wir uns auch immer freuen. Ja, und in diesen kleinen Kreis wollten immer noch mehr dazu kommen, als die hörten, wir treffen uns, und dann haben wir gesagt: „Mehr geht nicht!“ Dann kannst du das nicht mehr zu Hause machen. Und das wollten wir nicht. Wir verstehen uns alle sehr gut, muss ich sagen. Und das Schöne ist: nachher so bei den größeren Feiern sind dann die Männer dazu gekommen, und die verstehen sich auch alle gut. Also das ist ja auch ’ne Seltenheit. Und wir feiern jetzt immer alle zusammen, die großen Geburtstage oder Goldhochzeiten zum Beispiel, und das ist auch sehr schön. Und jetzt im Oktober fahr’n wir wieder mit sechsen aus dieser Gruppe nach Holland – eine Woche. Das große Klassentreffen – mit allen – machen wir bis jetzt alle fünf Jahre, aber wir haben schon gesagt: „Das muss öfter geschehen!“ Da sind schon sechs, von denen wir wissen, die sind tot. Und das muss einfach öfter geschehen jetzt. Die Helga war die einzige von den Zehn, mit der ich auch schon in der Schulzeit sehr befreundet war, das war also immer schon ’n bisschen enger. Helga ist ja nun in der Verwandtschaft. Das war ganz witzig, da zeigt die Helga mir plötzlich ein Bild mit ’nem jungen Mann drauf und war ganz euphorisch. Ich guck mir das Bild an, und da sag ich: „Das ist doch mein Cousin!“ Und sie wurde ganz verlegen. Helga hat meinen Cousin geheiratet, und mein Onkel und meine Tante waren nun die Schwiegereltern von der Helga.

Was mir aufgefallen ist: je älter ich werde, umso weniger Kompromisse mach ich. Aber auch: je älter ich werde, umso mehr muss ’ne Beständigkeit da sein, ist ’ne bestimmte Sicherheit wichtig. Das seh ich bei unserem Kurs: erst mal geht man mehr aus sich raus, je länger man bleibt. Und dann hat man Leute, die man nicht immer trifft. Man hat interessante Ansprechpartner, die nicht jeden Tag zusammen sind, und ich denke, dass körperliche und geistige Bewegung zusammenhängen, das glaub ich ganz sicher. Ich meine, es gibt natürlich auch Ausnahmen, Menschen, die durch Krankheit am Rollstuhl gefesselt sind, müssen nicht geistig unbeweglich sein. Das kann man also nicht so pauschal sagen.

Ich hab festgestellt, dass viele Männer schlechter alt werden können, als Frauen. Sie versuchen dann durch Aktivität im Sport mit den Jungen mitzuhalten, und das ist oft ein ganz großer Fehler – meinem Erachten nach. Also das hab ich im Bekanntenkreis erlebt, ja die wollen dann mit Macht noch so sein, wie die Jungen eben auch sind. Man sagt zwar immer, Frauen haben da große Probleme, aber ich glaube, Männer tun sich da viel schwerer mit. Nur die reden nicht drüber. Die denken irgendwie durch Sport oder indem sie sich Freundinnen anschaffen oder durch was weiß ich, können sie die Jugend wieder zurückholen, was ja ein ganz großer Irrtum ist. Das sind Bemühungen, das Alter nicht anzuerkennen, denk ich. Ausnahmen bestätigen immer die Regel. Frauen suchen sich dann andere Sachen, die sie eben interessant finden. Ich seh das immer wieder. Du siehst ja viele Frauen, die sich zusammentun und Studienreisen machen oder irgendwas für ihren Geist oder für die Schönheit. Es gibt ja nun auch ganz viele Frauen, die früher Witwe werden, als das bei Männern der Fall ist; das ist statistisch bewiesen. Und dass die sich dann automatisch zusammentun mit anderen Frauen, das ist auch normal in meinen Augen. Und meistens geht das sehr gut.

Manchmal suchen die Männer sich auch nur was Neues, weil die Ehe nicht mehr so funktioniert. Das kann auch sein. Viele haben so ’nen Trugsinn, dass man mit ‘ner neuen Partnerin noch mal mit allem von vorne anfängt. Also die Illusion hab ich schon lange nicht mehr. Selbst wenn man ’nen neuen Partner kriegte, ich hätte Zweifel. Ich hab viele in meinem Alter gehört, die sagen: „Nee, selbst wenn mein Mann jetzt sterben würde, möchte ich keinen festen Partner! Wohl mal mit jemandem ausgehen, vielleicht auch ’ne Reise machen, aber getrennt wohnen! Nicht mehr so diese Körperlichkeit, diese unheimliche Nähe!“ Viele haben da so ’ne Scheu vor, und möchten das nicht. Da sind ganz selten welche, die sagen: „Doch kann ich mir vorstellen!“ Ich glaube, Frauen werden gelassener, die akzeptieren das Alter irgendwann. Es ist ja auch in unserer Gesellschaft immer noch so, dass Frauen mit zunehmendem Alter an Attraktivität verlieren, während Männer attraktiver werden. Ich empfinde das so, dass viele Schauspieler, die ich von früher kenne, als junge Männer total uninteressant waren, aber mit zunehmendem Alter sehr interessant...

Kategorien

Service

Info/Kontakt