Clowns für Menschen mit Demenz - Das Potenzial einer komischen Kunst. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch

Clowns für Menschen mit Demenz - Das Potenzial einer komischen Kunst. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch

von: Ulrich Fey

Mabuse-Verlag, 2014

ISBN: 9783863211622

Sprache: Deutsch

205 Seiten, Download: 5315 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Clowns für Menschen mit Demenz - Das Potenzial einer komischen Kunst. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch



EINBLICK


Clowns für Menschen mit Demenz, Clowns für Menschen in Alten- und Pflegeheimen – das klingt nach Nische, das klingt nach Minderheitenprogramm. Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Wir alle haben Eltern und Großeltern, die älter werden, zum Teil sehr alt. Wir selbst werden in nicht so ferner Zukunft auch zu den Alten zählen – und mit dem Alter steigt das Risiko, dement zu werden. So ist Demenz ein Thema für viele. Und Clowns können in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen.

In einer Umgebung, in der die betreuenden Menschen immer wieder daran scheitern, einen angemessenen Umgang mit den verwirrten Menschen zu finden, kann der Clown helfen. Denn der Clown ist ein seltsames Wesen. Er scheitert auch, aber bei ihm ist das Programm. Er muss sich nicht anstrengen, um die Menschen mit Demenz zu erreichen, weil er sich bereits auf einer Ebene mit ihnen befindet. Sie sind wie der Clown: nicht rational, sondern emotional. Sie machen Sachen, die sonst niemand versteht, manchmal verstehen es beide, Verwirrter und Clown sogar selbst nicht. Es ist aber auch gar nicht so wichtig, Hauptsache, sie verstehen einander.

Verständnis für die Menschen mit Demenz zu wecken, stellt ein Ziel dieses Buches dar. Im Zentrum stehen aber die Chancen, die alle Menschen im Umgang mit Demenz haben können: die, die betroffen sind, und die, die Menschen mit Demenz betreuen. Es geht um einen Perspektivwechsel.

Wer ist hier ver-rückt?


So muss man zum Beispiel, angesichts vieler Erscheinungsformen in unserer modernen Welt, erst einmal fragen: Wer ist denn hier verrückt? Sind es die, die als Ausdruck ihrer demenziellen Veränderung nicht mehr wissen, was sie mit einem Löffel anfangen sollen oder wie ihr verstorbener Ehemann mit Vornamen hieß? Oder sind es die, die sich bei klarem Verstand sonderbar verhalten? Die mit ihren Kindern in den Zoo gehen, mit der Digitalkamera den Braunbären fotografieren und sich dann nur noch das Foto ansehen, aber keinen Blick mehr haben für den lebendigen Bären vor sich? Oder die, die ihre Frau mit dem Laptop unter dem Arm in den Kreißsaal begleiten und sich dann mehr für ihre E-Mails als die Geburt ihres Kindes interessieren – wie jüngst eine Hebamme im Radio berichtete?

Ein Perspektivwechsel bedeutet auch, die Demenz selbst anders zu betrachten. Dabei muss etwas in den Vordergrund rücken, was oft genug verdrängt und dann im Untergrund wirksam wird: die Gefühle.

Denn Demenz macht erst einmal Angst. Große Angst. Denen, die unmittelbar von ihr betroffen sind, aber auch denen, die Sorge haben, eines Tages dement werden zu können. „Demenz wird zur Projektionsfläche vieler tief gehender Ängste, da sie allen narzisstischen Selbstidealen wie Autonomie, Kraft, Stärke widerspricht.“1. Das gilt für den Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt. Demente Menschen werden ausgeschlossen, Heime schützen die Gesellschaft vor der Konfrontation mit ihnen, auch wenn wir Jüngeren Angst davor haben, selbst einmal so ausgeschlossen zu werden2.

Die Angst des Playboys


Besonders deutlich wird diese Abwehr am Fall von Gunter Sachs. Der über Jahrzehnte gefeierte Playboy und Frauenheld (und damit Projektionsfigur vieler Männer) nahm sich im Mai 2011 das Leben, aus Angst, möglicherweise (!) an Alzheimer erkrankt zu sein. Die Reaktionen der einschlägigen Presse: „Er stirbt, wie er lebte: aufrecht und selbstbestimmt“ (Bild), „Ein Mann mit Charakter – bis zum bitteren Ende“ (Bunte), „Einer, der so stark gelebt hat, war sich am Ende wohl einen starken Abgang schuldig“ (Stern), „Es war ein männlicher Selbstmord“ (GQ)3. Die „Texte lesen sich fast wie Empfehlungen an Alzheimer-Patienten, doch denselben Weg zu gehen“4. Dass von Stärke bei Sachs’ Freitod keine Rede sein kann, vielmehr von gekränktem Narzissmus – das schreiben die Journalisten nicht. Ob aus Dummheit, Populismus oder verkappter Angst, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass solche Veröffentlichungen das angstbesetzte Bild von Demenz stützen.

Aber: „Das Leben mit Demenz bedeutet keinesfalls nur Unglück und Leiden, genauso wenig wie das Leben ohne Demenz nur Glückseligkeit und Wohlbefinden bedeutet“5. Unbestritten ist, dass das Altern und noch viel mehr die Demenz ein Loslassen erfordern, ja erzwingen. Doch was bleibt, wenn der Urlaub auf Gran Canaria, der neue Mercedes, die beruflichen Erfolge von Kindern und Enkeln uninteressant werden, ja geradezu belanglos? Für die einen ist dies die Hölle, für andere eine Art Paradies: Menschen unabhängig von ihrem Wohlstand und Ansehen einfach für ihr Sein schätzen zu lernen, zu mögen, vielleicht zu lieben.

Einfach Mensch sein


Menschen mit Demenz bringen uns mit diesem Wunsch in Verbindung. Nicht mit Absicht, sie tun es, weil sie nicht anders können. Ihr Gehirn funktioniert nicht mehr in der Weise, wie es in unserer Gesellschaft funktionieren sollte, in einer Gesellschaft mit einem geradezu katastrophal überschätzten Stellenwert des Intellekts6. Der Psychoanalytiker Arno Gruen schreibt sogar: „Die wahren Geschädigten sind nicht die seelisch Erkrankten, die als psychiatrische Patienten von der Gesellschaft gemieden werden. Es sind diejenigen, die uns ein reduziertes Mensch-Sein suggerieren wollen. Die Kranken weisen uns unbewusst den Weg zu uns selbst zurück.“7

Als Clown habe ich das erlebt. Und ich habe es als Gewinn erlebt. Auch das ist ein Perspektivwechsel. Viele Menschen mit Demenz fordern nicht nur, sie können den Betreuenden etwas geben: ehrlichen, bedingungslosen Kontakt – immer authentisch, immer glaubhaft. Sie können nicht anders. Sie verschenken Lächeln, Umarmungen, Mitsingen, sogar Trost. Das alles kann man nicht kaufen, auch nicht online, und auch nicht bei Facebook posten.

Nach etwa dreißig Minuten, in denen sich Stille und Gesang abgewechselt haben, kündigt der Clown seinen Aufbruch an.

„So, jetzt packe ich ein und gehe.“

„Ooch.“

„Aber Frau Mertens, ich komme doch in zwei Wochen wieder.“

Sie hält einen Moment Ruhe, schaut und sagt dann: „Das ist das Tröstliche.“

Emotionales Sachbuch


Dieses Buch soll zwar auch ein Sachbuch sein, zuerst aber ist es ein Buch über und voller Emotionen. Denn Gefühle sind der entscheidende, oft der einzige Zugang zu Menschen mit Demenz. Und der Clown agiert vor allem auf dieser Ebene.

Den Innenansichten eines Clowns stehen indes Außenansichten gegenüber, die häufig geprägt sind von Klischees. Clowns sind doch diese bunten Kerle aus dem Zirkus, die Eimer voller Wasser umstoßen oder mit Torten werfen. Clowns sind etwas für Kinder, allenfalls noch im Krankenhaus vorstellbar – das wird inzwischen akzeptiert. Aber für Demente? Die Sorge vor einer „Verarschung“ (so ein Heimleiter) der Menschen mit Demenz liegt an einem vorurteilsbehafteten Blick der vernunftgesteuerten Menschen auf den Clown – Menschen mit Demenz haben diese Sorge fast nie. Sie würden auch schnell spüren, ob sie ernst genommen werden oder nicht. Denn das ist keine Frage an die Großhirnrinde. Dabei sind Menschen mit Demenz selbst manchmal so komisch, wie ein Clown es kaum sein kann. Daran darf man sich erfreuen, sogar lachen darüber, aber, und das ist ganz wichtig: Niemals darf der Clown einen Menschen – ob mit oder ohne Demenz – auslachen.

„Wie geht es Dir, Papa?“

„Also, ich muss sagen, es geht mir gut. Allerdings unter Anführungszeichen, denn ich bin nicht imstande, es zu beurteilen.“8

Die rote Nase


Um einen Clown und seine Arbeit zu verstehen, muss man die Bedeutung der roten Nase verstehen. Die sogenannte „kleinste Maske der Welt“ verhilft dem Privatmenschen zu einem Rollenwechsel, zu einer anderen Identität. Diese ist natürlich auch Teil seines privaten Selbstverständnisses, aber noch weit mehr.

Der Mann, der als Clown arbeiten will, muss sich heute in einem leeren Bewohnerzimmer umziehen. Frau Schuster, eine demenziell bedingt sehr eingeschränkte Frau mit starkem Bewegungsdrang, kommt in das Zimmer. „Frau Schuster, Sie sind falsch, das ist nicht Ihr Zimmer.“

Doch Frau Schuster setzt sich unbeeindruckt, verharrt einen Moment, schiebt dann ihren Rollator wieder hinaus. Der Noch-nicht-Clown atmet auf. Wenige Minuten später öffnet sich die Tür abermals, Frau Schuster kommt wieder herein.

„Frau Schuster, das ist nicht Ihr Zimmer.“ Das klingt schon etwas genervter. Frau Schuster dreht eine Runde in dem kleinen Raum und verlässt ihn wieder. Kurze Zeit später kommt sie ein drittes Mal. Inzwischen hat sich der Mann komplett umgekleidet, nur die rote Nase fehlt noch. Er schaut Frau Schuster verärgert an. Dann...

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