Lemmy - White Line Fever - Die Autobiographie

Lemmy - White Line Fever - Die Autobiographie

von: Lemmy Kilmister

Heyne, 2013

ISBN: 9783641135140

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 684 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Lemmy - White Line Fever - Die Autobiographie



ERSTES KAPITEL


Capricorn


Mein Leben begann in Stoke-on-Crent, in den westlichen Midlands von England. Stoke besteht aus einer Gruppe von ungefähr sechs Städten. Burslem war am übelsten, kein Wunder, dass ich dort geboren bin. Die Gegend wird »Potteries« – Töpfereien – genannt, und die Landschaft war früher schwarz von der Schlacke der Kohle. In den Brennöfen wurde hauptsächlich Keramik hergestellt – auch das berühmte Wedgwood. Überall gab es hässliche Schlackehaufen und die Luft war entsprechend verschmutzt. Nachdem sich mein Herr Erzeuger davongemacht hatte, zogen meine Mutter, meine Oma und ich nach Newcastle – das heißt nach Newcastle-under-Lyme, nicht weit von Stoke. Nach kurzer Zeit ging es weiter nach Madeley, einem nahe gelegenen Dorf. Es war wirklich nett da. Wir lebten gegenüber einem großen Teich, auf dem sich sogar Schwäne wohl fühlten.

Für meine Mutter war es hart, denn sie musste drei Personen durchbringen: meine Oma, meine Wenigkeit und sich selbst. Als Erstes arbeitete sie als TBC-Krankenschwester. Ein verdammt beschissener Job, denn sie begleitete die Patienten mehr oder minder auf ihrem letzten Weg. Vergleichbar mit einem heutigen Job auf einer Krebsstation. Tuberkulose ist eine wirklich beschissene Krankheit, denn sie verändert auch die Chromosomensätze. Sie sah Neugeborene mit Schuppen und mit rudimentären Federn. Schließlich kündigte sie, um als Bibliothekarin zu arbeiten. Dann hörte sie ganz auf zu arbeiten. Damals konnte ich den Druck nicht verstehen, unter dem sie stand. Nachdem sie meinen Stiefvater geheiratet hatte, arbeitete sie wieder. Als Bardame.

In der Schule hatte ich von Anfang an Probleme. Eigentlich hatte ich keine, aber die Lehrer und ich waren unterschiedlicher Meinung. Sie wollten, dass ich was lerne, und ich nicht. In Mathe war ich schon damals eine Null. Um mir Algebra beizubringen, hätte man mit mir ebenso gut Suaheli sprechen können. Also gab ich frühzeitig auf, da mir klar war, dass ich auf keinen Fall eine Unikarriere als Mathematikprofessor einschlagen würde. So habe ich mich von der Schule weitestgehend fern gehalten.

Den ersten Ärger gab es schon in der Grundschule. Wir Jungs sollten Stricken lernen. Diese blöde Pute wollte das wirklich! Es war völlig sinnlos, siebenjährigen Jungs so etwas beizubringen. Wahrscheinlich war sie eine verkappte Emanze. Und obendrein war sie auch noch brutal – es bereitete ihr ziemlichen Spaß, Kinder zu schlagen. Ich wollte auf keinen Fall stricken. Stricken war was für Memmen. Damals gab es noch richtige Memmen. Heute sitzen diese Memmen in den Parlamenten und regieren die Welt. Ich sagte ihr, dass ich es nicht kann und sie schlug mich. Nach einer Weile hatte sie ein Einsehen und hörte auf, mich zu schlagen.

Eine Tracht Prügel hat noch keinem geschadet, der etwas ausgefressen oder sonst wie Scheiße gebaut hat. Nicht aber, wenn man willkürlich geschlagen wird, nur weil man etwas falsch macht. Ich hab’s regelmäßig abbekommen: Ich kriegte es mit dem Tafellineal oder der Zeichenschiene, die neben der Tafel hing. Die Lehrerin stellte sich hinter uns und schlug uns damit gegen den Hinterkopf. Der Physiklehrer verprügelte uns später sogar mit dem Bein eines Hockers. Das Bein habe ich jedoch nie zu spüren bekommen, denn in Physik war ich gut. Das heißt, bis ich die Schule im gegenseitigen Einvernehmen verließ.

Wenn man einen ordentlichen Schlag ans Ohr kriegt, dass es eine halbe Stunde klingelt, dann hört man anschließend brav zu und tut, was man gesagt bekommt. So lief Erziehung damals ab. Jetzt ist das anders. Für mich und meine Generation hat das ganz gut funktioniert, denn soweit ich das beurteilen kann, sind wir schlauer als die gerade heranwachsende.

Jedenfalls heiratete meine Mutter wieder als ich zehn war. Sein Name war George Willis. Kennen gelernt hat sie ihn durch meinen Onkel Colin, ihren einzigen Bruder. Ich glaube, die beiden waren in der Armee befreundet gewesen (das heißt, Colin und George …). Er war Fußballprofi bei den Bolton Wanderers, und er hat sich alles hart erarbeitet, wie er immer wieder betonte. Ein richtiger Selfmademan mit einer eigenen Fabrik, die für Schaufenster Schuhständer aus Plastik herstellte. Drei Monate, nachdem er meine Mutter heiratete, ging sie Pleite. In Sachen Humor besaß er eine ganz eigene Auffassung. Als er einmal gestohlene Waschmaschinen und Kühlschränke verticken wollte, wurde er verhaftet und verschwand für dreißig Tage von der Bildfläche. Meiner Mutter erzählte er bloß, dass er auf Geschäftsreise müsse: »Schatz, ich werde ungefähr einen Monat unterwegs sein«, und dann saß er seine dreißig Tage im Knast ab. Es hat eine Weile gedauert, bis wir herausbekamen, was er so wirklich trieb. Aber letzten Endes war er ganz in Ordnung.

Aus seiner vorherigen Ehe brachte er zwei Kinder mit – Patricia und Tony. Da ich der Jüngste war, wurde ich ständig schikaniert. Das Verhältnis zu meinem Stiefvater war leicht angespannt, denn meine Mutter sah in mir ihr einziges Kind. Sie verteidigte mich immer wie eine Löwin und machte es ihm nicht gerade leicht. Patricia träumte davon beim Finanzministerium zu arbeiten, was sie schließlich auch schaffte. Tony ging für zehn Jahre zur Handelsmarine und schrieb uns fast zwanzig Jahre nicht. Mein Stiefvater dachte schon, er wäre tot. Heute lebt Tony in Australien. Er ist in Melbourne Leiter irgendeiner Plastikabteilung (ich wusste nicht, dass Plastik erblich ist).

Als meine Mutter und mein Stiefvater heirateten, zogen wir in sein Haus in Benllech, ein Seebad auf Anglesey. In der Schule war ich das einzige englische Kind unter ungefähr siebenhundert Walisern – eine Art Außerirdischer, der zur Belustigung beizutragen hat. Aus dieser Zeit habe ich auch meinen Spitznamen Lemmy. Da war ich ungefähr zehn Jahre alt. Allerdings hatte ich nicht immer diesen Bart … den habe ich erst, seit ich elf Jahre bin.

Ich beschäftigte mich viel mit mir selbst und hatte meinen Spaß, indem ich die Küste von Anglesey mit Hilfe von Plastiksprengstoff veränderte. Die gesamte Kanalisation des Ortes musste erneuert werden. Da sie im Sommer nicht fertig wurden, verstauten die Arbeiter ihr Werkzeug und den Sprengstoff in einem Bauwagen vor Ort, um im Frühjahr ihr Werk zu vollenden. Ende Oktober brach ich mit ein paar Freunden in den Bauwagen ein. Für uns Zehnjährige war das so ähnlich wie einen geheimen Schatz zu finden: Mützen, Overalls, Werkzeuge, Zündkapseln, Zündschnüre und der Plastiksprengstoff. Anschließend gruben wir am Strand ein Loch und versenkten darin den Sprengstoff. Die Zündkapsel befestigten wir an der Zündschnur und steckten sie in den Plastiksprengstoff. Zu guter Letzt legten wir einen großen Stein oben drauf, zündeten die Schnur an und rannten wie bescheuert davon. Und BUMM – der Stein flog fünfzehn Meter durch die Luft. Es war toll! Später mischten wir uns unter die Schaulustigen und hörten zu, was sie zu murmeln hatten: »Was denkst du?« – »Weiß nicht – Außerirdische?« Ich habe keine Ahnung, was dem Dorfpolizisten durch den Kopf schoss, als er die Explosionen hörte. Schließlich musste er feststellen, dass das halbe Kliff ins Meer gerutscht war. Fast zwei Meilen der Küste waren nach unserem kleinen Experiment verschwunden! Nur ein unschuldiger Spaß, oder? Schulkinder bauen eine Menge Scheiße, warum auch nicht? Das ist doch ihre Aufgabe, oder? Den Erwachsenen auf die Nerven gehen, damit diese ein Kreuz zu tragen haben; wozu sind sie denn sonst gut?

Natürlich war das nichts im Vergleich zu meinem wachsenden Interesse am anderen Geschlecht. Sie müssen sich vor Augen halten, dass es zu der Zeit, in den Fünfzigern, noch keinen Playboy und kein Penthouse gab. Das höchste der Gefühle waren damals diese Magazine, die Sachen wie Tennis spielende Nudisten brachten – Health and Efficiency und so’n Scheiß. So waren die Fünfziger. Und manche Leute nennen sie die Zeit der Unschuld. Scheiß drauf – versuch’ mal darin zu leben!

Meine sexuelle Erziehung begann sehr früh – ich war gerade den Windeln entwachsen. Meine Mutter brachte ungefähr drei Onkel mit nach Hause, bevor wir uns auf einen als Vater einigten. Für mich war das immer okay. Sie war einsam und schuftete den ganzen Tag, um mich und meine Oma zu ernähren. Ich hatte kein Problem damit, etwas früher ins Bett zu gehen. Und wenn man auf dem Land aufwächst, stößt man des Öfteren auf Leute, die es auf den Feldern, hinter Büschen und im Wald treiben. Zudem gab es auch auf dem Land Autos, deren Fenster beschlagen waren  – wenn man Glück hatte, konnte man einen Blick auf ein nacktes Bein oder eine Brust erhaschen, wenn das Pärchen vom Vordersitz auf den Rücksitz kletterte. Zu der Zeit waren diese Röcke mit den zwei Petticoats darunter in Mode. Die konnte man rumsausen lassen, wenn man den Jive tanzte – also tanzte ich eine Menge. Ich hörte damit allerdings auf, als der Twist aufkam, denn beim Twist durfte man die Frau auf einmal nicht mehr berühren. Eine Beleidigung für einen Tänzer wie mich! Und dabei hatte ich gerade erst die pubertäre Wollust entdeckt. Ich wollte dicht herankommen, die direkte Erfahrung, die Wärme fühlen. Das gegenseitige Befummeln und so was.

So richtig los ging es dann mit vierzehn. Ich arbeitete in einer Reitschule und ich entdeckte mein Verlangen nach Frauen: egal ob groß oder klein, dick oder dünn. Selbst Konfession, Alter, politische Überzeugung und Haut- und Haarfarbe waren mir egal. Hauptsache Frau. Ganz Manchester und Liverpool schienen im Sommer in unser kleines Seebad zu kommen. Während ihrer Ferien vergnügten sich Collegestudentinnen in unserer Reitschule. Und die Pfadfinderinnen kamen jedes Jahr en masse – die ganze Truppe, mit...

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