Altern

Altern

von: Elke Heidenreich

Hanser Berlin, 2024

ISBN: 9783446280403

Sprache: Deutsch

112 Seiten, Download: 2323 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Altern



So.

Und nun suchen Sie sich aus diesen zwei Lebensversionen doch bitte eine aus.

Zu ergänzen wäre, um es komplett zu machen, dass ich mein Leben lang zu viel geraucht, zu viel getrunken habe und zu leichtsinnig schnell früher Motorrad, später Auto gefahren bin, ich habe nie wirklich irgendeinen Sport betrieben, habe kein Talent zu sexueller Treue und war also nicht besonders gut zur Ehe geeignet. Ich habe zig Bestseller geschrieben, bin also sorgenfrei, was ganz wunderbar ist, und da sitz ich jetzt in einem Haus voller Bücher und denke: ist doch ein großartiges Leben.

Ja, und dann das Alter. Wieso das denn? Seit wann? Wo kommt denn das auf einmal her? Warum?

Eins wollen wir mal klarstellen: eine Frau, die — wie ich — nie Mutter wurde (ich wollte nicht, ein Abbruch in sehr jungen Jahren), die also auch nicht Großmutter sein muss oder darf, die immer nur ihr eigenes Leben leben kann und konnte, die altert naturgemäß anders als jemand im Familienverbund. Es ist ein ganz anderer Lebensentwurf. Und ganz andere Leben haben auch ganz andere Alter. Mütter haben im Alter Kinder, die sich unter Umständen kümmern, die finanziell und praktisch helfen. Hab ich nicht. Meine Kindheit war trostlos, meine Eltern waren unglücklich und machten mich zu einem lästigen, unglücklichen Kind. Und darum war mir schon ganz früh klar: so wollte ich nicht werden, nicht so eine überforderte Mutter, ich wollte kein Kind haben — ich würde es wahrscheinlich auch ständig ohrfeigen, so wie ich ständig geohrfeigt wurde. Irgendetwas in mir hat sich einer eigenen Familie schon sehr früh und sehr gründlich verschlossen. Das Wort, das mir immer mehr Angst machte als Krankheit, Unglück, Trennung, das ist das Wort Abhängigkeit. Ich war nie abhängig von irgendeinem Partner. Ich habe immer für mich selbst gesorgt und werde das bis zuletzt tun, wenn es sein muss, mit bezahlter Pflege, möglichst im eigenen Haus. Also: kein Aufgefangen werden von Familie, ich habe keine Familie, und mein Lebenspartner ist achtundzwanzig Jahre jünger als ich, ein weltfremder Künstler, der eignet sich nicht zum Pfleger. So sieht’s aus.

Was macht das jetzt mit mir, das Alter?

Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur: ich stelle mich ihm, ich verleugne es nicht, ich versuche nicht jünger zu wirken, als ich bin. Und ich finde schon gar nicht, dass das Leben im Alter weniger wert ist.

Vielleicht mache ich mir da was vor, aber ich finde: Ich sehe noch ganz gut aus in dem Sinn, dass ich nicht zerknittert bin. Ich war nie eine Schönheit, aber auf meine Haut ist Verlass (niemals warmes Wasser ins Gesicht!). Ich kriege, wie alle Frauen in unserer Familie, fast keine Falten. Gutes Bindegewebe. Manchmal aber sehe ich mein Gesicht plötzlich irgendwo im Spiegel, meist im Kaufhaus, auf der Rolltreppe, und dann denke ich: wer ist denn diese mürrische Alte mit den zerzausten Haaren? Und dann bin das ich. Man sieht natürlich an den Händen und am Hals, dass ich alt bin.

(Ha! So beginnt Natalia Ginzburg 1971 ihre Erzählung »Die Frauen«: »Das erste, was bei den Frauen alt wird, ist der Hals. Eines Tages sehen sie im Spiegel ihren Hals voller Falten. ›Wie ist das bloß passiert?‹ sagen sie und meinen: ›Wieso ist das bloß mir passiert? Mir, die ich von meiner Natur her und für immer jung war‹?«)

Im Gesicht habe ich kaum Falten, und, nein, ich habe nichts machen lassen. Ich würde nie etwas machen lassen, ich mute meinem Körper keine Narkose zu für etwas, das nicht sein muss. Reicht mir gerade, dass ich wegen meiner schlechten Sehkraft alle paar Wochen Spritzen in die Augen kriege, was so grauenhaft ist, dass ich mir da ab und zu eine kurze Narkose leiste.

In einem Gedicht der von mir so sehr geliebten österreichischen Dichterin Christine Lavant heißt es in der ersten Strophe:

Mein Augenlicht ist nichts mehr wert,

auch das Gehör geht langsam ein,

bald werde ich so sinnlos sein

wie ein verbrauchtes Gruben-Pferd,

doch niemals so ergeben.

Mein Wille lässt mich beben (…)

Mein Wille lässt mich beben — und leben! Das ist doch eine gute Einstellung.

Klar, ein paar Falten sind da. Die habe ich mir erworben in langen Nächten mit Freunden, bei diesem ganzen ungesunden, wunderbaren Leben mit so viel Lachen und Lieben. Und es sind auch Falten, die von den Tränen kommen, deshalb bereue ich doch nicht, geweint zu haben — aus Kummer, aus Liebe, aus Glück. Nichts davon würde ich je wegmachen lassen, von pornographisch aufgespritzten Lippen reden wir schon mal gar nicht. Wie sehen diese aufgespritzten Frauen aus mit achtzig? Bestimmt nicht alle wie Jane Fonda oder Cher, und schon da stimmt nichts, wenn man sich das verlogene Strahlen genauer ansieht. Ich will kein Kunstprodukt sein, ich will ICH sein, mit meinen Haaren, die immer schon mausig waren und nun wunderbarerweise fast nicht grau werden. Mit meinen Brillen. Mit all den Narben von all den Unglücken und Krankheiten.

Marguerite Duras beginnt ihren Roman »Der Liebhaber« so:

»Eines Tages, ich war schon alt, kam in der Halle eines öffentlichen Gebäudes ein Mann auf mich zu. Er stellte sich vor und sagte: ›Ich kenne Sie seit jeher. Alle sagen, dass Sie schön gewesen sind, als Sie jung waren, ich bin gekommen, Ihnen zu sagen, dass ich Sie jetzt schöner finde als in Ihrer Jugend, ich mochte Ihr junges Gesicht weniger als das von heute, das verwüstete.‹«

Ich finde die alten, ja: die vom Leben verwüsteten Gesichter von Jeanne Moreau oder Louise Bourgeois wunderschön, sie erzählen von prall gefülltem Leben sehr viel mehr als die Gesichter von Frauen mit prall gefüllten Botoxwangen.

Wir werden anders alt als unsere Eltern. Früher war man mit fünfzig abgearbeitet und alt. Heute sind viele Achtzigjährige geistig und körperlich noch fit und im täglichen Rennen. Die Welt ist im Wandel, wir wandeln uns mit, wir sind länger beweglich im Kopf, als es unsere Eltern waren, wir haben auch eine viel bessere medizinische Versorgung.

In einer Kolumne für eine Frauenzeitschrift schrieb ich vor mehr als zehn Jahren:

»An manchen Tagen fühle ich mich wie hundertacht und sehe auch genauso aus. Manchmal fühle ich mich wie vierzig und sehe auch genauso aus, das sind die Tage, an denen ich leuchte. Heute fühle ich mich wie neunundsechzig und sehe auch genauso aus. Ich bin neunundsechzig. Die Knochen tun mir heute weh, am liebsten wollte ich gar nicht aus dem Bett, aber ich zwinge mich: halb neun aufstehen, immer, halb zehn am Schreibtisch, immer. Dass die Knochen weh tun, liegt am Muskelkater, und der liegt daran, dass ich neuerdings nach einem Bandscheibenvorfall in ein Fitnesscenter gehen muss, ich ziehe voller Verachtung Sportklamotten an (aber nicht etwa dieses neonfarbene Zeugs, nein, alles elegant in trauerschwarz!) und lasse mich von der schönen Janine quälen: ich muss auf einem Bällchen liegen und mit dem Oberkörper hochkommen, zwei Kilo Hanteln in jeder Hand. Das soll gut für meine Bauchmuskeln sein. Ich muss auf einer wackeligen Platte stehen und in die Knie gehen, das soll gut für mein Gleichgewicht und für die Oberschenkel sein. Immer, wenn ich nicht mehr kann, sagt Janine: »Noch acht!« und ich sage: »Noch vier!« und dann sagt sie: »Gut, noch sechs.« Ohne sie würde ich das überhaupt nicht tun, und ich bezahle sogar noch dafür, dass sie mich triezt. So ist das, wenn man älter wird und gesund bleiben will. Ich gebe zu: es klappt, und ich verdanke dieser Tatsache und der, dass es ja zum Glück für die Liebe in keinem Alter zu spät ist, die Tage, an denen ich wie vierzig aussehe und leuchte. Es gibt sie, wenn auch seltener.«

Ja: mitunter ist man so alt, wie man sich fühlt. Aber meistens ist man älter. Eines der hinreißenden Models in Vogue hat mal in einem Interview gesagt, sinngemäß: Ich weiß natürlich, dass ich nicht für immer jung bin und »auch mal dreißig sein werde«. Zu schön.

Sport treibe ich inzwischen nicht mehr, sorge aber dafür, dass immer ein Hund da ist, mit dem ich zwei Stunden täglich spazieren gehe. Also, alles in allem komme ich ganz gut klar mit diesem vermaledeiten Älterwerden, weil es ja auch bedeutet, dass ich immer noch am...

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