Gespräche mit hohem Belastungsfaktor in der Medizin - Praxislehrbuch für die Kommunikation mit Angehörigen
von: Viviana Abati, Stiftung Swisstransplant
Hogrefe AG, 2018
ISBN: 9783456759227
Sprache: Deutsch
192 Seiten, Download: 7930 KB
Format: EPUB, auch als Online-Lesen
Mehr zum Inhalt
Gespräche mit hohem Belastungsfaktor in der Medizin - Praxislehrbuch für die Kommunikation mit Angehörigen
1 Kommunikation als Fachkompetenz
Lernziele |
Dies sind Ihre Lernziele für dieses Kapitel:
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Psychologie hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts zu einer empirischen Wissenschaft entwickelt, die ihre Erkenntnisse mit strengen wissenschaftlichen Methoden gewinnt.
Trotzdem hat dieses Fachwissen beim Laienpublikum manchmal einen schweren Stand. Warum ist das so?
Vor allem deshalb, weil jeder Mensch sich im Laufe seines Lebens einen reichhaltigen Erfahrungsschatz über das „Funktionieren“ seiner selbst und seiner Mitmenschen aneignet. Schließlich wendet man dieses intuitive Wissen ja tagtäglich im Kontakt mit anderen an, versucht, sie zu verstehen, ihr Verhalten vorherzusehen und allenfalls zu beeinflussen etc. Mit anderen Worten: Jeder hält sich bis zu einem gewissen Grad für psychologisch bewandert.
Manchmal jedoch versagt unsere „Alltagspsychologie“ und man ist auf kompetenten Rat von wissenschaftlicher Seite angewiesen. Das gilt z.B. bei Massenphänomenen, psychischen Störungen und vielen anderen Bereichen jenseits der eigenen alltäglichen Erfahrung.
Medizinisches Fachpersonal, das mit Betroffenen in Kontakt ist, kennt eine besondere Form von solchen Extremsituationen: die Kommunikation mit Menschen, denen großes Leid widerfährt, entweder als Patient oder als Angehörige. Diese Situationen erfordern besondere Kenntnisse und Fertigkeiten.
1.1
Erwartungen und Realität
Für Patienten und ihre Angehörigen sind schwere Krankheiten und Todesfälle Ausnahmesituationen. Sie verursachen Leid, Schmerz und Angst. Hoffnungen und Zukunftspläne werden zunichtegemacht.
Was wird von Ärzten und Pflegepersonal erwartet?
Erwartungen an Profis
Es gehört zum beruflichen Alltag von Ärzten und Pflegepersonal, dass sie mit tragischen Situationen und menschlichem Leiden zu tun haben. Das ist der Normalfall, dafür sind sie da.
Darum wird vom medizinischen Fachpersonal eine hohe Belastbarkeit erwartet. Fachpersonen sollen sich auch in schwierigen Situationen professionell verhalten.
Die Realität
Patienten und Angehörige beobachten zwar, dass sich Ärzte und Pflegepersonal im medizinischen und technischen Bereich sehr professionell verhalten, dasselbe gilt aber nicht immer, wenn es um Sozialkompetenz und Kommunikation geht.
Es fällt verständlicherweise schwer, in belastenden Situationen, die oft mit negativen Emotionen einhergehen, nicht angespannt zu sein. Auch professionelle Helfer können unter Stress leiden. Unter Stress hat der Mensch meist einen schlechteren Zugang zu seinen Kompetenzen. Das gilt im Besonderen auch für die Kommunikationskompetenz.
Kommunikation ist lernbar
Die professionellen Helfer sagen zwar selbst, dass das Führen von Gesprächen in schwierigen Situationen zu ihrem Beruf einfach dazugehöre. Aber nur wenige von ihnen haben an einer Schulung der Kommunikationskompetenz im medizinischen Kontext teilnehmen können. Kommunikationsschulungen halten nur langsam Einzug in die Ausbildung der medizinischen Fachkräfte.
Die gute Nachricht: Professionelle Kommunikation ist lernbar.
Abbildung 1-1: Ärzte und Pflegekräfte müssen sich täglich den Erwartungen von Angehörigen stellen. Ungeachtet der Situation sollen sie kompetent, professionell und empathisch sein. Ein hoher Anspruch, an das eigene Kommunikationsverhalten.
1.2
Was zeichnet gute Kommunikation aus?
In diesem Modul werden Sie wiederholt aufgefordert, sich selbst zu reflektieren und etwas aufzuschreiben. Beginnen Sie mit folgenden Notizen:
Übung |
Was denken Sie? Was bedeutet eigentlich „kompetent oder professionell kommunizieren“? Was sind die wichtigsten Kriterien einer professionellen Kommunikation? Woran können Sie nach einem Gespräch erkennen, dass das Gespräch gut oder nicht so gut verlaufen ist? |
Kriterien einer professionellen Kommunikation
Sowohl die Fachperson als auch der Patient / die Angehörigen sollen vom Gespräch sagen können, es sei …
- wertfrei,
- neutral,
- verständlich,
- kompetent,
- vertrauensfördernd und Stress abbauend.
1.3
Erste Tipps
Gut gemeint ist nicht gut genug
Abbildung 1-2: Gut gemeint ist nicht gut genug.
Kommunikation ist eine sehr komplexe Kompetenz. Sie kennen das sicher aus dem täglichen Leben: Sie fühlen sich manchmal missverstanden, sogar in einfachen Situationen – und sogar durch Leute, die Sie gut kennen.
Noch schwieriger wird es in Ausnahmesituationen und zwischen Menschen, die sich weniger gut kennen. Zum Beispiel, wenn sich ein Patient oder ein Angehöriger in einem Zustand von Stress und Angst befindet und darum Mühe hat, Ihre Nachricht zu verstehen und zu verarbeiten.
In solchen Zuständen kann gut gemeinte Kommunikation das Gegenteil von der gewünschten Wirkung erzielen. Statt Beruhigung lösen Sie Panik aus. Statt Informationsvermittlung erlebt Ihr Gesprächspartner Informationsüberlastung.
Die Basis guter Kommunikation bildet also nicht in erster Linie die positive Absicht des Senders, sondern vor allem das Wie. Es werden bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten benötigt.
Welche Faktoren müssen Sie z.B. beachten, wenn Sie Patienten und Angehörigen Informationen vermitteln müssen, damit sie wichtige Entscheidungen treffen können? Beispielsweise wenn es darum geht, einer lebensrettenden komplizierten Operation oder einer Organspende zuzustimmen? Mehr dazu erfahren Sie auf der folgenden Seite.
Sind Sie wirklich ein guter Kommunikator?
„Ist doch der Verstand das Einzige, das in dieser Welt gerecht verteilt ist:
Jeder glaubt, genug davon zu haben …“
(René Descartes)
Dasselbe könnte man von der Kommunikation sagen. Die meisten Menschen glauben, gute Kommunikatoren zu sein. Stimmt das aber tatsächlich? Wie können Sie beurteilen, ob das auf Sie zutrifft? Auf welche Aspekte der eigenen Kommunikation würden Sie achten, um sich zu beurteilen? Zugegeben, diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Sie werden uns aber auf dem Weg zu einem besseren Verständnis von Kommunikation in schwierigen Situationen leiten.
Prämissen der Kommunikationswissenschaft
Was denken Sie, welche der folgenden Aussagen sind klassische Prämissen der Kommunikationswissenschaft?
- Man kann nicht nicht kommunizieren.
- Die nonverbalen Anteile der Sprache sind wichtiger als die Worte.
- Botschaften können vom Empfänger anders verstanden werden als vom Sender gemeint.
- Der Empfänger ist dafür verantwortlich, dass die Botschaft verstanden wird.
Auswertung
Fast alle Aussagen stimmen. Jedoch ist nicht der Empfänger, sondern der Sender dafür verantwortlich, dass die Botschaft verstanden wird.
Was bedeutet das konkret? Wie genau können Sie aufgrund dieser Prämissen Ihr persönliches Verhalten und Ihre Kommunikation in schwierigen Situationen anpassen? Was sind die Dos und Don’ts der Kommunikation?
Dos und Don’ts in der Kommunikation
In diesem Buch werden Ihnen immer wieder sogenannte „Dos“ und „Don’ts“ begegnen, die in knapper Form günstiges und ungünstiges Verhalten zu einem Thema zusammenfassen.
Dos und Don’ts |
Dos Gehen Sie davon aus, dass …
|
Don’ts
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Wie verhilft uns die Psychologie zur besseren Kommunikation?
Psychologie ist die Wissenschaft des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns/Verhaltens und seiner Grundlagen. Warum denkt, fühlt, tut, entscheidet, reagiert, handelt der Mensch so, wie er es tut?
Gerade in Ausnahmesituationen scheinen Menschen nicht „vernünftig“ oder für andere nicht verständlich zu reagieren. Das kann ein Gegenüber verunsichern, vor allem...