Pflegende Angehörige stärken - Information, Schulung und Beratung als Aufgaben der professionellen Pflege

Pflegende Angehörige stärken - Information, Schulung und Beratung als Aufgaben der professionellen Pflege

von: Christa Büker

Kohlhammer Verlag, 2015

ISBN: 9783170261235

Sprache: Deutsch

156 Seiten, Download: 3269 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Pflegende Angehörige stärken - Information, Schulung und Beratung als Aufgaben der professionellen Pflege



1         Situation pflegender Angehöriger


 

 

Zum besseren Verständnis der Bedarfs- und Problemlagen pflegender Angehöriger soll in diesem ersten Kapitel ein kurzer Einblick in ihre Lebens- und Belastungssituation gegeben werden. Zugleich wird aufgezeigt, in welchen Bereichen Angehörige am dringendsten einer Unterstützung bedürfen.

»Angehörige« und »Familie« – begriffliche Klärung

Zuvor gilt es noch, zu klären, wer nachfolgend gemeint ist, wenn von »Angehörigen« gesprochen wird. In diesem Buch wird nicht generell ein enges Verwandtschaftsverhältnis zwischen einer pflegebedürftigen Person und den Personen, die sich um sie kümmern, vorausgesetzt. Hilfeleistungen erfolgen in zunehmendem Maße auch durch Wahlverwandte, Lebenspartner, Freunde, Nachbarn und andere nahe Bezugspersonen aus dem privaten Umfeld. Demzufolge schließt der Terminus »Angehörige« alle Personen ein, die sich einem Pflegebedürftigen verbunden fühlen und vor diesem Hintergrund Hilfe, Pflege und Betreuung leisten. Ebenso ist der Begriff der »Familie« zu betrachten, entsprechend der Definition von Friedemann/Köhlen (2010, S. 37), nach der die Familie einer bestimmten Person aus all jenen Mitmenschen besteht, mit denen sich die Person verbunden fühlt und Kontakt pflegt. Auch hier ist nicht unbedingt die unmittelbare verwandtschaftliche Beziehung ausschlaggebend für das Zusammengehörigkeitsgefühl von mehreren Personen als Familie.

1.1        Pflege in der Familie


Pflegebedürftige Menschen in Deutschland

In Deutschland gelten 2,5 Millionen Menschen als pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (Statistisches Bundesamt 2013). Seit 1999 ist aufgrund der demografischen Entwicklung ihre Zahl um rund 500.000 Personen angestiegen und die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren weiter erhöht. Der weitaus größte Teil der Pflegebedürftigen sind ältere Menschen: 83 % von ihnen sind 65 Jahre und älter, 36 % sind 85 Jahre und älter. In der Gruppe der ab 90-Jährigen sind zwei Drittel der Frauen und ein Drittel der Männer pflegebedürftig (ebd.). Daran wird sichtbar, dass mit zunehmendem Alter das Risiko, pflegebedürftig zu werden, steigt.

Pflege zu Hause und im Heim

Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen (70 % bzw. 1,76 Millionen) werden zu Hause versorgt; ca. 740.000 Personen leben im Alter in Heimen. Von den häuslich Versorgten erhalten wiederum mehr als eine Million ausschließlich Pflegegeld, d. h. sie werden in der Regel allein durch Angehörige oder sonstige Pflegepersonen versorgt und betreut. Knapp 580.000 Pflegebedürftige werden durch ambulante Pflegedienste unterstützt, aber auch hier ist es in vielen Fällen die Familie, die den Großteil der Versorgung leistet.

Hervorgerufen wird die Pflegebedürftigkeit oftmals durch chronischdegenerative Erkrankungen; viele der Betroffenen sind mehrfach erkrankt (Multimorbidität). Langjährige Krankheitsverläufe sind keine Seltenheit, mit entsprechenden Konsequenzen für die Versorgungsgestaltung und das Leben der gesamten Familie (Schaeffer 2006). Der Hilfebedarf gestaltet sich häufig sehr umfangreich und umfasst die Hilfe bei der Haushaltsführung, körperbezogene Unterstützung und spezielle pflegerische Maßnahmen, Begleitung zu Arztbesuchen, Ermöglichung sozialer Kontakte, emotionale Unterstützung sowie – im Falle kognitiver Beeinträchtigung – eine mitunter permanente Beaufsichtigung.

Stabilität häuslicher Pflegearrangements

Die Pflegebereitschaft von Familien zeigt sich seit etlichen Jahren ungebrochen hoch. Betrachtet man Tabelle 1, wird ein eindeutiger Trend zur professionellen Pflege in Pflegeheimen oder durch ambulante Pflegedienste nicht erkennbar:

Tab. 1: Pflegebedürftigkeit und Versorgungsform im Zeitvergleich (Statistisches Bundesamt 2001 und 2013)

Diese nüchternen Zahlen entkräften das hartnäckige Vorurteil, pflegebedürftige Menschen würden häufig in ein Heim »abgeschoben«. Sie zeigen vielmehr, dass die meisten Pflegebedürftigen so lange wie möglich in der Familie versorgt werden und die häuslichen Pflegearrangements bislang bemerkenswert stabil sind. Inwieweit sie als Beleg für den Erfolg gesundheitspolitischer Maßnahmen im Sinne des Grundsatzes »Ambulant vor stationär« gewertet werden können, muss allerdings dahin gestellt bleiben, denn es ist weniger das Angebot an ambulanten Dienstleistungsstrukturen, welches den Verbleib Pflegebedürftiger in der häuslichen Umgebung sichert, sondern die beeindruckend hohe Pflegebereitschaft von Familien. Inwieweit diese in Zukunft jedoch aufrechterhalten werden kann, darf angesicht gesellschaftlicher und demografischer Entwicklungen bezweifelt werden.

Hauptpflegeperson

Im Durchschnitt sind in den Familien zwei Personen an der Betreuung eines Pflegebedürftigen beteiligt, bei einem Drittel der Fälle ist es sogar nur eine Person (BMG 2011). Hierin spiegelt sich die soziale Veränderung unserer Gesellschaft: Immer kleiner werdende Familien und die räumliche Trennung der Generationen führen dazu, dass die »Last der Pflege« sich auf eine Hauptpflegeperson konzentriert.

Die Hauptpflegeperson gehört in aller Regel zum engeren Kern der Familie (ebd.). Bei verheirateten Pflegebedürftigen pflegt häufig der Ehepartner, bei verwitweten die Tochter oder der Sohn, bei pflegebedürftigen Kindern ist es die Mutter, die sich für das Pflegegeschehen zuständig zeigt. In etwa drei Viertel aller Fälle ist die Hauptpflegeperson weiblich. Allerdings nimmt der Anteil der Männer zu; er stieg im Zeitraum von 1998 bis 2010 von 20 % auf nunmehr 28 % (ebd.).

Mehr als 60 % der pflegenden Angehörigen sind älter als 55 Jahre. Damit pflegt gar nicht mehr unbedingt die so genannte »Sandwich-Generation«, also jene, die sowohl noch eigene, jüngere Kinder als auch die Eltern zu versorgen hat. Vielmehr findet Pflege hauptsächlich innerhalb der älteren Generation statt. Es sind in erster Linie Menschen in der »dritten Lebensphase«, die jene in der »vierten Lebensphase« pflegen (Schneekloth 2006, S. 408). Dementsprechend steht der größte Teil der pflegenden Angehörigen nicht (mehr) im Erwerbsleben. Allerdings sind es immerhin noch 40 % der Hauptpflegepersonen, die einer Berufstätigkeit nachgehen und damit einer Mehrfachbelastung von Arbeit, Familie, Haushalt und Pflege unterliegen.

Pflege als Selbstverständlichkeit

Die Übernahme der Pflege wird häufig als Selbstverständlichkeit betrachtet. Zentrale Motive sind Liebe und Zuneigung zum Pflegebedürftigen, Pflichtgefühl sowie der Wunsch, etwas zurückgeben zu wollen (Bubolz-Lutz 2006). Eine Rolle können aber auch die Erwartungen anderer spielen, sowohl die des Pflegebedürftigen selbst als auch der übrigen Familienmitglieder oder Nachbarn.

Häufiges Fehlen einer bewussten Entscheidung zur Übernahme der Pflege

Eher selten wird der Entschluss zur Pflege bewusst gefällt, insbesondere wenn Pflegebedürftigkeit sich schleichend entwickelt. Geht es zunächst nur darum, häufiger als früher nach dem Rechten zu sehen oder Einkäufe zu erledigen, entwickelt sich allmählich ein immer umfassenderer Hilfebedarf bis hin zur Unterstützung beim Waschen, Anziehen oder Toilettengängen. Aber auch bei plötzlicher Pflegebedürftigkeit, z. B. bedingt durch einen Schlaganfall, ist die Übernahme der Pflege oftmals keine bewusste Entscheidung, vielmehr werden Angehörige mit der neuen Aufgabe förmlich überrumpelt. Unter Umständen liegt in dieser fehlenden Entscheidungsfreiheit bereits ein gewichtiger Faktor für die Schwere der empfundenen Belastung durch die Pflege.

1.2        Belastungserleben pflegender Angehöriger


Zahlreiche Untersuchungen zur Situation von Pflegepersonen zeigen auf, dass es sich bei den pflegenden Angehörigen um eine vulnerable Personengruppe handelt, die vielfältigen Belastungen ausgesetzt ist (u. a. Mischke/Meyer 2008; Schneekloth/Wahl 2008). Zu den hauptsächlichen Belastungsfaktoren gehören:

Belastungsfaktoren

•  Zeitliche Belastung: Die Versorgung eines Pflegebedürftigkeiten ist häufig ein Full-Time-Job: Durchschnittlich 37,5 Stunden pro Woche werden für Hilfe, Pflege und Betreuung aufgewendet (BMG 2011). Viele pflegende Angehörige...

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