Sexuelle Übergriffe und Gewalt im Pflegealltag - So setzen Sie sich erfolgreich zur Wehr - ein Handlungsleitfaden für Pflegekräfte. 'Nicht mit mir' - Raus aus der Opferrolle

Sexuelle Übergriffe und Gewalt im Pflegealltag - So setzen Sie sich erfolgreich zur Wehr - ein Handlungsleitfaden für Pflegekräfte. 'Nicht mit mir' - Raus aus der Opferrolle

von: Gabriela Koslowski

Schlütersche, 2021

ISBN: 9783842691155

Sprache: Deutsch

148 Seiten, Download: 1573 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Sexuelle Übergriffe und Gewalt im Pflegealltag - So setzen Sie sich erfolgreich zur Wehr - ein Handlungsleitfaden für Pflegekräfte. 'Nicht mit mir' - Raus aus der Opferrolle



Vorwort

Warum schreibe ich dieses Buch? Weil es noch keines gibt! Es gibt Bücher darüber, dass Pflegekräfte Gewalt und sexualisierte Gewalt ausüben: gegenüber Patient*innen, Bewohner*innen und Angehörigen. Doch es wird nie darüber geschrieben, was Pflegende, Ärzte/-innen, Physiotherapeut*innen, Auszubildende in Krankenhäusern, Altenheimen oder in ambulanten Pflegediensten erleben. Sexuelle Übergriffe sind seit vielen Jahrzehnten ein Tabu.

Pflegende haben unglaublich hohe fachliche und soziale Kompetenzen. Doch daneben benötigen sie auch eine klare Haltung gegenüber sexuellen Übergriffen. Sie brauchen die Möglichkeit, sich erfolgreich zu wehren – verbal und nonverbal.

In meiner jahrelangen Arbeit bin ich in Einzelsitzungen und in über 1.000 Seminaren mit Gruppen, Teams, Leitungskräften, Ärzt*innen, Auszubildenden und Geschäftsführer*innen immer wieder auf das Thema »Sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt« gestoßen. Ich spürte immer wieder die Hilflosigkeit, hörte immer wieder dieselben Fragen: »Wo bekomme ich Hilfe?« – »Gibt es einen Handlungsleitfaden?« – »Gibt es Strategien, damit umzugehen?« Das sind Fragen, die mich sehr beschäftigt haben, und so habe ich lange recherchiert.

Ich fand einige Facharbeiten und Artikel zu der Thematik, jedoch kein Buch, in dem es darum geht, Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben, zu interviewen und dann mit ihnen einen individuellen Handlungsleitfaden zu erarbeiten, der ihnen hilft, aus der Opferrolle herauszutreten, Sicherheit und Selbstbewusstsein zu erlangen. Erschreckend empfand ich, dass es selbst bei einem Leitfaden der Bundesregierung zum Thema sexualisierte Gewalt nur einen kleinen Absatz gab, dass Pflegekräfte von Bewohner*innen belästigt werden und Übergriffe erfahren. Der Fokus wurde auf die andere Seite gelegt: Pflegekräfte üben Gewalt und Vernachlässigung auf Pflegebedürftige aus. Das hat mich noch einmal darin bestärkt, wie wichtig es ist, dieses Thema aufzugreifen und sich mit einem Tabu auseinanderzusetzen, das schon seit Jahrzehnten im Pflegealltag besteht.1

In diesem Buch behandle ich Übergriffe, die Menschen aus den verschiedensten medizinischen Berufsgruppen betreffen:

Sexuelle Übergriffe auf weibliches Pflegepersonal,

sexuelle Übergriffe auf Auszubildende

sexuelle Übergriffe von männlichen Angehörigen

sexuelle und verbale Übergriffe auf Ärzt*innen,

Übergriffe auf Physiotherapeuten,

sexuelle Übergriffe von älteren Damen auf Männer und männliche Auszubildende,

sexuelle Übergriffe von Patientinnen auf männliche Ärzte,

Übergriffe von Vorgesetzen auf Mitarbeiterinnen,

sexuelle und verbale Übergriffe von Patient*innen und Bewohner*innen auf weibliche Migranten,

sexuelle Übergriffe von Demenzkranken auf das Pflegepersonal,

sexuelle Übergriffe in Krankenhäusern, Seniorenheimen, ambulanten Pflegediensten.

Ein zweiter Grund, warum ich dieses Buch schreibe, ist, dass ich vor vielen Jahren als Auszubildende selbst einen sexuellen Übergriff erlebt habe. Ich hatte sehr viel Glück, da mir die Reaktion der Stationsleitung und ihre Haltung geholfen haben, Selbstsicherheit zu erlangen und Unterstützung erfahren zu dürfen.

Ein relativ neues Schlagwort ist der Begriff »sexueller Übergriff« – und zwar nicht nur in den Medien, sondern auch in vielen Ausprägungen und Facetten im Pflegealltag. Doch wann liegt eine sexuelle Belästigung vor? Wann sprechen wir überhaupt von einem Übergriff? Ist es schon ein Blick oder muss eine Berührung erfolgen? Und wie kann ich mich klar abgrenzen? Wie kann ich als Leitungskraft Mitarbeiter*innen und Auszubildende schützen?

Als psychologische, systemische Beraterin arbeite ich jeden Tag mit Pflegekräften, Ärzt*innen und Auszubildenden zusammen, die verschiedene Belästigungen erlebt haben. Es sind nicht immer nur Frauen, die Übergriffe erleben, auch Männer sind davon betroffen.

Menschen, die pflegen, unterstützen, begleiten und jeden Tag Gespräche führen, benötigen dazu eine besondere Fähigkeit: einen gesunden Umgang mit Nähe und Distanz. Das bedeutet, sie müssen Nähe zulassen können, sich emotional einfühlen können in die Lebenssituation von Bewohner*innen, Patient*innen und auch Angehörigen. Menschen in medizinisch-pflegerischen Berufen leisten jeden Tag Beziehungsarbeit, das heißt, sie müssen eine Balance zwischen der Nähe finden und gleichzeitig die nötige Distanz wahren.

Je mehr Sie als Pflegekraft wissen, wo Ihre eigene Distanzzone ist, desto mehr wissen Sie um Ihre persönliche Grenze und können sie artikulieren und auch demonstrieren: durch Worte, Gestik und Körpersprache. Sie haben das Recht dazu! Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich klarstellen. Kein Mensch hat das Recht, die persönliche Grenze eines anderen zu ignorieren oder zu überschreiten!

Bevor ich auf die Ursachen, Auslöser und die Präventionsmaßnahmen eingehe, möchte ich Ihnen von dem Übergriff berichten, den ich als 19-jährige Schwesternschülerin erlebt habe und der mich für mein weiteres Leben sehr geprägt hat.

1984 war ich als Krankenpflegeschülerin auf einer chirurgischen Station eingesetzt und sollte die Grundpflege eines jungen 23-jährigen Mannes übernehmen, der auf einem Vierbettzimmer lag und sich den rechten Arm und das linke Bein gebrochen hatte. Zu dieser Zeit trugen wir Schülerinnen grüne lange Kittel. Während der Grundpflege drehte ich dem jungen Mann den Rücken zu, um den Waschlappen aus der Waschschüssel zu nehmen und an den Patienten weiterzureichen. In diesem Moment spürte ich seine Hand unter meinem Kittel, die langsam nach oben glitt. Ich war schockiert, drehte mich mit einem Ruck herum und schlug mit meinem rechten Handrücken zu – direkt ins Gesicht des jungen Mannes. Ein Reflex! Ich war schockiert. Das Erstaunen im Zimmer war groß, weil die anderen Patienten nicht gesehen hatten, was der junge Mann getan hatte. Es wurde unruhig im Zimmer, ich war fassungslos. Was hatte ich getan? Mein erster Gedanke war nicht: »Ich bin belästigt worden!«, sondern: »Ich habe einen Patienten geschlagen!« (Übrigens ein Phänomen, das ich immer wieder von belästigten Schwestern, Ärztinnen und weiblichen Auszubildenden in meinen Seminaren höre: Sie suchen den Fehler bei sich).

Ich versuchte verließ fluchtartig das Zimmer. Zum Glück lief ich unserer Stationsschwester in die Arme, einer Nonne, der ich aufgelöst von dem Vorfall berichtete. Sie sagte: »Das kläre ich sofort!«, lief schnellen Schrittes zu dem Vierbettzimmer und ich hörte sie schimpfen.

Im Anschluss schrieb sie ein Protokoll und verständigte den Oberarzt, der auch noch einmal mit dem jungen Mann sprach. Die Schwestern wurden befragt, warum eine 19-jährige Schülerin zu einem jungen Mann geschickt wurde, um die Grundversorgung durchzuführen. Schließlich teilte mir die Stationsschwester mit, dass ich nicht mehr auf dieses Zimmer müsste. Ich war unendlich erleichtert und froh, dass die Stationsschwester mir geglaubt hatte. Das Gefühl, einen Patienten geschlagen zu haben, wurde überlagert von dem Gefühl, belästigt worden zu sein. Im Anschluss habe ich diesen Vorfall reflektiert, indem ich mir folgende Fragen stelle:

Habe ich etwas falsch gemacht?

Habe ich dem jungen Mann falsche Signale gesendet?

Habe ich mich während der Grundpflege falsch verhalten?

Ich dachte lange darüber nach und beantwortete alle Fragen mit Nein. Mir hat die Vorgehensweise der Stationsschwester sehr geholfen und dafür bin ich unendlich dankbar. Die Art und Weise, wie mit diesem Erlebnis umgegangen wurde, hat mich auf meinem weiteren Lebensweg gestärkt und mir sehr viel Sicherheit gegeben. Ich wurde ernst genommen und erfuhr Unterstützung. Das ging vielen meiner Seminarteilnehmer*innen wesentlich anders. Darauf gehe ich in den weiteren Kapiteln noch näher ein.

Liebe Leserinnen und Leser,

ich möchte Ihnen mit Hilfe meines Buches eine Unterstützung geben, die Ihnen hilft, sich bei sexuellen Übergriffen zu wehren, Mut zu fassen, Grenzüberschreitungen nicht hinzunehmen und zügig zu reagieren! Sie sollen die Möglichkeit haben, zu sagen: »Jetzt reicht’s – Nicht mit mir! Ich will raus aus der Opferrolle!«

Danke

Mein Dank gilt meiner tollen Lektorin, Claudia Flöer von Text & Konzept Flöer, für unseren immer wertschätzenden, anregenden Austausch und die vielen wertvollen Tipps während des Schreibens, meinen Enkelkindern Gloria,...

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