Lass dein Hirn nicht sitzen - Wie Bewegung das Denken verbessert, Depressionen lindert und Demenz vorbeugt

Lass dein Hirn nicht sitzen - Wie Bewegung das Denken verbessert, Depressionen lindert und Demenz vorbeugt

von: Erik Scherder

Verlag C.H.Beck, 2016

ISBN: 9783406688737

Sprache: Deutsch

205 Seiten, Download: 3410 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Lass dein Hirn nicht sitzen - Wie Bewegung das Denken verbessert, Depressionen lindert und Demenz vorbeugt



1 Lieber faul als müde


«Können Sie mir sagen, wo der nächstgelegene Bankautomat ist?»

«Toll, dass einem der Einkauf auch nach Hause geliefert wird!»

«So ein elektrisches Fahrrad ist schon eine super Sache!»

Faul und dick dem Tod entgegen


Vor nicht allzu langer Zeit widmete die renommierte medizinische Zeitschrift The Lancet der körperlichen Inaktivität eine ganze Ausgabe. Unter anderem wurde festgestellt, dass Inaktivität oder Bewegungsmangel weltweit die vierthäufigste Todesursache ist, nach Herz- und Gefäßkrankheiten, Krebs und Infektionskrankheiten.[1] Bereits 31 Prozent der Weltbevölkerung genügen mittlerweile den Empfehlungen für ein Mindestmaß an körperlicher Aktivität nicht mehr. Vor einigen Jahren waren es noch 17 Prozent: Das ist beinahe eine Verdoppelung in drei Jahren. Die Welt steht – oder sitzt – still.

Wie nachteilig das für die Gesundheit ist, lässt sich an folgenden Statistiken sehen: 6 bis 10 Prozent aller Todesfälle weltweit gehen auf körperliche Inaktivität zurück, ebenso fast ein Drittel aller Herzkrankheiten infolge schlechter Durchblutung (Ischämie). Mit anderen Worten: Bei rund fünfeinhalb Millionen Menschen weltweit hätte der vorzeitige Tod verhindert werden können, wenn sie ein aktiveres Leben geführt hätten. Kann jemand beispielsweise keine fünfzehn bis zwanzig Minuten am Tag zügig gehen (brisk walking), dann erhöht sich sein Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten, Krebs und Diabetes Typ 2 um 20 bis 30 Prozent, und die Lebenserwartung verkürzt sich um drei bis fünf Jahre.[2] Damit nicht genug: Weltweit verursacht der strukturelle Bewegungsmangel 6 Prozent der Fälle von koronarer Herzkrankheit (Erkrankung der Herzkranzgefäße, der Gefäße rund um das Herz), 7 Prozent der Diabetesfälle, 10 Prozent aller Brustkrebsfälle, 10 Prozent der Darmkrebsfälle und 9 Prozent der vorzeitigen Sterbefälle und somit beinahe ein Zehntel der 57 Millionen Todesfälle im Jahr 2008.[3]

Rauchen und körperliche Inaktivität verursachen momentan beinahe gleich viele Todesfälle: jeweils etwa fünf Millionen (siehe Abbildung 1). Auffallend ist, dass es eine gewaltige Anti-Raucher-Lobby gibt, eine vergleichbare Bewegung gegen körperliche Inaktivität jedoch nicht.[4] Programme zur Förderung von Bewegung werden zwar im Allgemeinen als nützlich betrachtet, doch viele Wissenschaftler, die ebenfalls viel Zeit im Sitzen verbringen, halten sie für weniger wichtig als die Kampagnen gegen das Rauchen. Forscher[5] weisen darauf hin, dass der größte gesundheitliche Nutzen bei vornehmlich sitzenden (inaktiven) Menschen in den ersten 15 bis 29 Minuten Bewegung am Tag liegt.

Abbildung 1:  Die Anzahl der Todesfälle als Folge von Rauchen verglichen mit der Anzahl der Todesfälle als Folge von körperlicher Inaktivität.[6] Die Prävalenz gibt den Anteil der Raucher und der inaktiven Menschen an. Hazard Ratio bezeichnet die Sterbewahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren, die darauf Einfluss haben könnten. Auch die unterschiedliche Dauer, mit der die Versuchspersonen an der Studie teilnahmen, wird einbezogen. PAR steht für Population Attributable Risk: der Anteil der Bevölkerung mit einem erhöhten Risiko, zu rauchen oder körperlich inaktiv zu werden.

Das alles hat weitreichende Folgen für Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Letztlich müssen wir alle zusammen für die zusätzlichen Kosten von Krankheit aufkommen. Es ist mehr «Partizipation» nötig, denn die Menschen, die in einem schlechten körperlichen Zustand sind, brauchen Unterstützung. Dass man sich heutzutage so wenig bewegt, hat viele Ursachen. Kinder sehen heute beispielsweise wesentlich mehr fern als früher und sitzen mehr am Computer, um zu spielen. Der öffentliche Nahverkehr ist so gut ausgebaut, dass man nicht mehr viel zu Fuß gehen muss. In öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen befinden sich die Aufzüge ganz zentral im Eingangsbereich. Nach den Treppen hingegen muss man erst einmal suchen. Erschreckend ist außerdem, dass laut vieler Prognosen die körperliche Bewegung noch weiterhin abnehmen wird, insbesondere in den USA.[7]

Langstreckenflüge (also langes Sitzen) erhöhen bekanntlich das Risiko für Thrombosen im Bein. Auf den meisten großen Flughäfen der Welt finden sich parallel zu den Laufwegen zu den Abfluggates mittlerweile Laufbänder, auf denen man nur noch still zu stehen braucht. Ganz vereinzelt läuft einmal jemand nebenher, die meisten jedoch stehen bequem auf dem Band oder gehen halbherzig ein paar Schritte vorwärts. Die Entstehung einer Thrombose im Bein beginnt also bereits bei der Ankunft im Flughafen! Schön ein bisschen am Gate herumstehen, dann noch kurz im Wartebereich Platz nehmen und anschließend ein paar Stunden eingezwängt im Flugzeug sitzen. Ich plädiere eher für eine Einführung des «Flughafenlaufs»: Zügig vom Auto, Taxi oder Zug mit Gepäck zum Einchecken gehen, dann zum Gate und dann leider im Flugzeug still sitzen, um dann wieder den Flughafenlauf zur Gepäckausgabe und mit dem Koffer zum Taxi oder zu einem anderen Verkehrsmittel zu absolvieren.

Jüngst wurde sogar festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig zu sterben, mit den Stunden zunimmt, die man im Sitzen verbringt, selbst wenn man sich mehr als sieben Stunden pro Woche sportlich betätigt.[8] Dies ist der Fall ab einem Alter von fünfzig an aufwärts. Verbringt man mehr als 70 Prozent seiner Zeit im Sitzen (ist also nicht aktiv), verfünffacht sich sogar die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig zu sterben! Letzteres ist der Fall bei Menschen, die mehr als sieben Stunden am Tag vor dem Fernseher verbringen.[9] Trifft das auch auf Menschen zu, die etwa in einem Büro oder an der Universität arbeiten? Ich denke schon. Schon bei einem TV-Konsum von vier Stunden täglich kann bereits das metabolische Syndrom entstehen.[10] Das ist eine Stoffwechselstörung, die zu Adipositas (Fettleibigkeit) und aufgrund von Insulinresistenz zu erhöhten Zuckerwerten, Bluthochdruck und dergleichen mehr führt. Erhöht man die Anzahl der täglich vor dem Fernseher verbrachten Stunden in einem Untersuchungszeitraum von fünf Jahren, wirkt sich das zusätzlich negativ aus, das Bauchfett nimmt also zu und der Blutdruck steigt.

Dick sein


In den Vereinigten Staaten sind 36 Prozent der Erwachsenen und 18 Prozent der Kinder übergewichtig.[11] Bei einem BMI (der Body Mass Index ist eine Messzahl zur Einschätzung des Körpergewichts; um sie zu ermitteln, teilt man das Körpergewicht in Kilogramm durch die Körperlänge in Metern zum Quadrat) zwischen 25 und 30 spricht man von Übergewicht, bei über 30 von Adipositas. Adipositas erhöht das Risiko von Herz- und Gefäßerkrankungen, Diabetes Typ 2, Krebs, Bluthochdruck, Schlaganfall oder Hirnblutung, Lebererkrankungen, Atemproblemen und Arthritis (Entzündung der Gelenke). Etwa 300.000 Menschen sterben in den Vereinigten Staaten jährlich vorzeitig an den Folgen von Adipositas. Die Veranlagung dazu ist zwar zum Teil genetisch bedingt, doch sollten wir unser Augenmerk vor allem auf jene Faktoren richten, die sich beeinflussen lassen, wie Ernährung, Bewegung und eine aktivere Freizeitgestaltung, also etwa weniger Zeit vor dem Fernseher und dem Computer zu verbringen.

Schulsport


Zuhause sitzen Kinder viel, sei es vor dem Fernseher oder dem Computer. Jedenfalls sitzen sie. Tagsüber sitzen sie in der Schule. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn wenn Unterricht gekürzt wird, betrifft das in den meisten Fällen vor allem Sport (und Musik, aber das ist eine andere Geschichte). So hört man oft, dass eine...

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