Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien - Wie auch Sie mit mediterraner Lebensweise gesund und glücklich alt werden

Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien - Wie auch Sie mit mediterraner Lebensweise gesund und glücklich alt werden

von: Ulla Rahn-Huber

mvg Verlag, 2016

ISBN: 9783864159138

Sprache: Deutsch

200 Seiten, Download: 21771 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien - Wie auch Sie mit mediterraner Lebensweise gesund und glücklich alt werden



Unter die Lupe genommen: das sardische Langlebigkeitsphänomen


Dass Sarden uralt werden können, pfeifen in Sardinien die Spatzen so laut von den Dächern, dass es keine Wissenschaftler bräuchte, um die Inselbewohner selbst auf das Phänomen aufmerksam zu machen. Alte Menschen sind im Alltag überall präsent. Nicht nur, dass die älteste Tochter, wie es der Brauch verlangt, die eigenen Eltern zu sich ins Haus holt, wenn sie alt geworden sind. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit nimmt man auch einen greisen Onkel, eine Tante und auch schon einmal eine Nachbarin oder einen alten Mann aus der Gemeinde auf. In beinahe jeder Familie ist einer aus der Generation der Anziani anzutreffen, und in den Dörfern im Inselinneren heißt »alt« oft wirklich alt: Wenn man sich umhört, scheint jeder hier einen (über) Hundertjährigen persönlich zu kennen oder wenigstens einen, der auf bestem Weg zu dem großen runden Geburtstag ist.

Auf dem Weg in die Ogliastra mit Gianni Pes bei einem Zwischenstopp an der Nuraghe Santu Antine.

Die Chance und der Wunsch, ein dreistelliges Lebensalter zu erreichen, sind auf Sardinien so allgegenwärtig, dass man sich nach einem Plausch auf der Straße zum Abschied »A kent’ annos!« zuruft, »Mögest du 100 Jahre werden!« Wie anders klingt das als unser deutsches »Tschüss!«.

Gut möglich aber, dass die Welt – insbesondere die Fachwelt der Alternsforscher – die sardische Langlebigkeit ohne die Beharrlichkeit vor allem eines engagierten Wissenschaftlers unter der Rubrik »Legenden« ad acta gelegt hätte. Im Oktober 1999 (wie es der Zufall wollte, im Internationalen Jahr der Senioren) trat Gianni Pes, ein an der Universität von Sassari im Nordwesten der Insel forschender Arzt und Ernährungswissenschaftler, bei einem Kongress im französischen Montpellier vor die illustre Fachkollegenschaft, um die Ergebnisse einer fünfjährigen Geduldsarbeit vorzutragen. Wissenschaftler hatten eine geringere Mortalitätsrate in manchen Gegenden seiner sardischen Heimat festgestellt, und auf der Suche nach den Gründen dafür hatte er sich die kommunalen und kirchlichen Geburten- und Sterberegister vorgenommen. Dabei war er auf nicht weniger als etwa 1000 Hundertjährige gestoßen, von denen er etwa 200 persönlich besuchte. Interessant war die besondere Häufung im zentralen Osten Sardiniens, also dem gebirgigen Herzen der Insel. Seinen Zahlen zufolge gehörte diese Region zur langlebigsten Italiens, wenn nicht der Welt. Doch damit nicht genug. Pes hatte außerdem festgestellt, dass ebenso viele Männer wie Frauen ein solch hohes Alter erreichten – und das, obwohl wissenschaftlich ausführlich dokumentiert und allgemein anerkannt ist, dass Frauen länger als Männer leben. Nach den Daten der Human Mortality Database liegt das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Hundertjährigen in der übrigen Welt bei mindestens 1:4, das heißt, auf vier hundertjährige Frauen kommt nur ein hundertjähriger Mann. Und hier sollte es etwa 1:1 betragen?

Es war die Außergewöhnlichkeit der von Pes präsentierten Ergebnisse, die die anderen Wissenschaftler die Brauen hochziehen ließ. Sie trug ihm nach dem Vortrag im Gespräch mit einem der renommierteren Experten sogar den Kommentar ein: »Ach, gehen Sie doch zurück zu Ihren Nuraghen!« Zu oft hatte man von der sagenhaften Langlebigkeit von Menschen in verschiedenen Weltregionen gehört, in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien etwa, im pakistanischen Hunza-Tal oder im Tal von Vilcabamba in Ecuador. Bei eingehender Prüfung hatten sich die Behauptungen jedoch ausnahmslos als ebendies erwiesen: sagenhaft. An keinem der Orte konnte das tatsächliche Alter der angeblichen Supergreise anhand fundierter Quellen nachgewiesen werden. Da offizielle Register fehlten, basierten die Angaben auf Schätzungen, auf den meist vagen persönlichen Erinnerungen der Greise und ihrer Verwandten und dem Versuch, die persönlichen Lebensdaten anhand von gesellschaftlichen oder politischen Ereignissen zu rekonstruieren. Fehlern und Übertreibungen war da Tür und Tor geöffnet.

Michel Poulain und die Entdeckung der »Blauen Zone«

Einer der Wissenschaftler im Saal, der belgische Demograf Michel Poulain, teilte zwar die allgemeine Skepsis, bot aber an, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Er forderte den jungen Kollegen auf, ihm in mindestens 20 Gemeinden, die sich in der Studie als besonders langlebig erwiesen hatten, die Richtigkeit seiner Zahlen zu belegen.

Gianni Pes und Michel Poulain, die beiden Forscher, die den Begriff der »Blauen Zone« geprägt haben.

Pes wusste, dass sein wissenschaftlicher Ruf auf dem Spiel stand. Um den Beweis zu führen, war ihm kein Weg zu weit. Am Ende wurden es nicht weniger als 40 Gemeinden, die die beiden Männer in dem klapprigen alten Fiat des Sarden bereisten. Poulains Zweifel waren da längst zerstreut. Angesichts der Qualität der Daten hatte er sich bereits nach dem Besuch der ersten Orte entschlossen, in einer groß angelegten Studie den Nachweis der außergewöhnlichen Langlebigkeit sardischer Männer zu führen. Dies war der Beginn einer engen freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Forschern, die bis heute andauert.

In den darauf folgenden Monaten machten sich die beiden an die mühsame Aufgabe, in allen 377 Orten die Geburts- und Sterbedaten der Geburtsjahrgänge zwischen 1880 und 1900 auszuwerten. Es wurden also nicht nur die aktuell in einem Ort lebenden, sondern alle im Untersuchungszeitraum dort geborenen Hundertjährigen erfasst, um Verzerrungen zu vermeiden, die sich andernfalls angesichts der geringen Fallzahlen beim Ableben eines der Ultragreise ergeben hätten. Im Zuge der Untersuchung zeichnete sich immer deutlicher ab, welch erstaunliche Zahl von Centenari manche Ortschaften hervorgebracht hatten. Pes markierte sie auf einer Landkarte und stellte fest, dass sich die Orte auf ein Kerngebiet konzentrierten. Er schraffierte den Bereich mit blauem Filzstift, und damit war der Begriff der »Blauen Zone« geboren. Seither bezeichnen Demografen und Langlebigkeitsforscher jene Weltgegenden, in denen die Bevölkerung älter wird als andernorts und in denen dies nach strikten wissenschaftlichen Maßstäben nachgewiesen ist, als »Blaue Zonen”.

Die »Blaue Zone« auf Sardinien.

Noch an drei weiteren Orten der Welt gibt es nachweislich Blaue Zonen: auf dem zu Japan gehörigen Archipel Okinawa, das meine Tocher und ich bereits bereist haben; auf der griechischen Insel Ikaria und auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica. Ein weiterer viel versprechender Kandidat, der zurzeit erforscht wird, ist Kuba.

Wie ein Ring legte sich die blaue Linie um die ausladende Hochebene der Ogliastra und nördlichen Barbagia, in deren Herzen sich mit dem Gennargentu und dem Supramonte die beiden höchsten Gebirgsmassive Sardiniens erheben. Es ist eine Gegend, in der viele der Nachfahren der bronzezeitlichen Ureinwohner heute noch als Hirten leben und großen Wert auf den Erhalt der alten Traditionen legen. Nur hier ist das Phänomen der extremen Langlebigkeit anzutreffen, hier auf dem »Dach der Welt”, wie manche die Gegend nennen, weil der Blick von hier oben so weit reicht, dass man meint, über allem zu schweben. Das übrige Sardinien schneidet in dieser Hinsicht kaum besser als der Continente ab, wie man hier das italienische Festland nennt.

Die sardischen Supercentenarians

Supercentenarians nennen Alternsforscher Menschen, die ihren 110. Geburtstag erlebt haben. Auf Sardinien gibt es davon eine ganze Reihe: Als der Hirte Antonio Todde aus Tiana in der Provinz Nuoro im Januar 2002 seinen letzten Atemzug tat, war er mit 112 Jahren und 346 Tagen der älteste Mann der Welt. Sein Vater, ebenfalls Hirte, wurde 90 und seine Mutter, die außer ihm elf weitere Kinder zur Welt brachte, hätte sicher die 100 erreicht, wäre ihr nicht mit 98 Jahren der Genuss des inzwischen verbotenen, berühmt-berüchtigten sardischen Madenkäses – des Casu marzu – zum Verhängnis geworden.

Giovanni Frau aus dem Nachbardorf Orroli war an seinem Todestag, dem 19. Juni 2003, der älteste Mann Europas und belegte immerhin Platz 6 der Weltrangliste.

Auch er war Bauer und Hirte und hatte, wie Antonio Todde, nur ein einziges Mal seine Heimat verlassen, um als Soldat im Ersten Weltkrieg zu dienen.

Er wurde 112 Jahre und 172 Tage alt.

Am 5. April 2016 wurde Guiseppina Projetto-Frau nach Angaben der GRG World Supercentenarian Rankings List mit 113 Jahren und 312 Tagen die älteste noch lebende Frau mit sardischen Wurzeln. Allerdings würden manche Sarden sie nicht mehr als Einheimische bezeichnen, denn ihr Schicksal ist typisch für das vieler Sarden: Sie wurde in Ozieri in der Provinz Sassari geboren, ihr Großvater war Gefolgsmann des berüchtigten Guerillakämpfers Garibaldi, der von der Insel Caprera vor der heutigen Costa Smeralda stammte. Aber sie folgte ihrem Sohn, der auf der Suche nach Arbeit aufs italienische Festland zog, und ließ sich »auf fremdem Boden« nieder.

Heute lebt sie in dem Städtchen Montelupo Fiorentino in der Toskana.

Ebenfalls zum Club der Supercentenarians gehörte Rosa Frau Cuga aus Ovodda (Provinz Nuoro), die bei ihrem Tod im Februar 2013 111 Jahre und 186 Tage alt war.

Den Guinness-Rekord für die langlebigste Familie hielt bis 2014 die Familie Melis in Perdasdefogu in der Ogliastra. Neun Geschwister der Sippe brachten es am 20. Juni jenes Jahres auf insgesamt 837 Jahre und 8 Tage. Die Älteste im Bunde war Tzia (»Tante«) Consola, die im Juni 2015 mit 108 Jahren verstarb.

Pes hatte in Montpellier nicht zu viel versprochen: Ja, im sardischen Kernland...

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