Erwachsenenschutz - Das neue Gesetz umfassend erklärt - mit Praxisbeispielen

Erwachsenenschutz - Das neue Gesetz umfassend erklärt - mit Praxisbeispielen

von: Walter Noser, Daniel Rosch

Beobachter-Edition, 2016

ISBN: 9783038750062

Sprache: Deutsch

208 Seiten, Download: 6236 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Erwachsenenschutz - Das neue Gesetz umfassend erklärt - mit Praxisbeispielen



Rechtliche Grundlage: das Schweizerische Zivilgesetzbuch


Das Erwachsenenschutzrecht ist im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) in den Artikeln 360 bis 456 geregelt. In diesem Gesetzbuch geht es wie in einem hochstehenden Roman oder in einer billigen Soap um die grossen Themen des Lebens: um Geburt, Jugend und Kindheit, Zusammenleben, Heirat und Sterben. Dazwischen um Eigentum, Vereinsleben, Scheidung und Erben – und seit dem 1. Januar 2013, seit das Erwachsenenschutzrecht Bestandteil des ZGB ist, geht es vermehrt auch um Menschenwürde und Selbstbestimmung.

Die Geschichte des ZGB hat im vorletzten Jahrhundert begonnen: 1892 gab der Bundesrat grünes Licht für die Entwürfe eines vereinheitlichten schweizerischen Privatrechts. Bis dahin waren lediglich das Obligationenrecht, die persönliche Handlungsfähigkeit, die Eheschliessung und die Scheidung auf eidgenössischer Ebene geregelt. Alles andere war Sache der Kantone. Seit 1912 regelt das ZGB das Personen-, Familien-, Erb- und Sachenrecht auf gesamtschweizerischer Ebene. Das Obligationenrecht (OR) einschliesslich des Handels- und Wertpapierrechts ist dem ZGB als fünfter Teil angegliedert.

Fast alles ist im ZGB kurz und knapp beschrieben – nicht etwa, weil die Juristen im Bundeshaus nur halbe Arbeit geleistet haben, sondern weil sich die Fragen des Lebens nur in den Grundsätzen regeln lassen. Die im ZGB enthaltenen Gesetzesartikel wurden und werden deshalb durch Entscheide der Gerichte und des Bundesgerichts ständig anhand des Zeitgeistes interpretiert und ausgelegt. So wird es auch beim Erwachsenenschutzrecht sein.

Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über die Neuerungen, die das Erwachsenenschutzrecht bringt. Und Erklärungen für einige Begriffe, die immer wieder auftauchen, wenn es um Menschen geht, die nicht genügend für sich selber sorgen können.

Selbstbestimmung und Schutzbedürfnis – eine Abwägung


Niemand wird bestreiten, dass Kinder des Schutzes bedürfen. Damit sie nicht unter die Räder kommen, muss man ihnen oft Vorschriften machen und ihnen sagen, wo es langgeht. Sonst würden sie nie ins Bett gehen, statt Gemüse nur Pommes essen und die Zähne nicht putzen. Sie sind also auf Betreuung, Unterstützung und insbesondere auf Förderung durch ihre Eltern angewiesen. Wenn Vater und Mutter dieser Aufgabe nicht gewachsen sind, muss der Staat dafür sorgen, dass die vernachlässigten Mädchen und Buben die notwendige Unterstützung erhalten. Andernfalls wäre das Kindswohl gefährdet.

Wie aber sieht es aus, wenn ein 30-Jähriger oder ein 80-Jähriger noch oder wieder eines besonderen Schutzes bedarf, wenn gar sein Wohl gefährdet ist? Die Gründe für Gefährdungen und für die Hilfsbedürftigkeit von Erwachsenen können vielfältiger Natur sein. Zu denken ist an körperliche und psychische Erkrankungen, aber auch an Unerfahrenheit oder Unfähigkeit. Klar ist heute, dass schutzbedürftige Menschen nicht einfach wie Kinder behandelt werden dürfen; es geht weder um Erziehung noch um Nacherziehung. Vielmehr sind die Selbstbestimmung und die Würde des Menschen zu beachten.

Jede Gesellschaft muss entscheiden, wie sie mit ihren schutzbedürftigen Mitgliedern umgehen will, wo sie die Grenzen setzt und wann der Staat einen Menschen fremdbestimmen soll und darf. Schwierig wird es vor allem dann, wenn solche Menschen der Überzeugung sind, dass sie keiner Hilfe bedürfen. Hier wird immer ein Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Bedürfnis nach Schutz und Unterstützung bestehen.

Das Erwachsenenschutzrecht bezweckt nichts anderes, als die Schwächezustände zum Wohl hilfsbedürftiger Personen auszugleichen – zu diesem Zweck kann das Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werden. Im Vergleich zum alten Vormundschaftsrecht wird die Selbstbestimmung deutlich höher gewichtet. Es geht nicht mehr, dass der Übervater Staat alles vorschreibt. Die Selbstbestimmung auch von schwächeren Mitgliedern der Gesellschaft soll wenn immer möglich gewährleistet sein. Nur dort, wo es nicht anders geht, soll die Behörde beziehungsweise die Beiständin oder der Beistand nötigenfalls auch gegen den Willen einer schutzbedürftigen Person handeln.

Erwachsenenschutzrecht – ein Gesetz von heute


Im Kern geht es beim Erwachsenenschutzrecht um Personen, die an einem Schwächezustand leiden – einer psychischen Störung, einer geistigen Behinderung, einer Urteilsunfähigkeit oder einer vergleichbaren Schwäche – und deshalb wichtige eigene Angelegenheiten wie die Finanzen nicht mehr regeln können oder ihre Gesundheit stark vernachlässigen. Das ist die grosse Klammer dieses Gesetzes, die die einzelnen Hilfs- und Schutzinstrumente zusammenhält. Neu ist die Art, wie die Unterstützung für solche Menschen und der Umgang mit ihnen geregelt werden:

Selbstbestimmungsrecht: «Eines der Ziele der Revision ist es, das Selbstbestimmungsrecht zu fördern», schreibt der Bundesrat in der Botschaft zum neuen Gesetz. Mit dem Instrument des Vorsorgeauftrags kann eine handlungsfähige Person selber bestimmen, wer im Fall der Urteilsunfähigkeit ihr Rechtsvertreter werden soll. Und mit einer Patientenverfügung kann festgelegt werden, wer medizinischen Massnahmen zustimmen oder nicht zustimmen darf, wenn man das nicht mehr selber kann (siehe Seite 24 und 41).

Solidarität in der Familie: Der Ehemann, die Ehefrau sowie eingetragene Partner und Partnerinnen erhalten Rechte, die ihnen früher verwehrt waren (siehe Seite 38). «Damit wird die Solidarität in der Familie gestärkt und es wird vermieden, dass die Behörden systematisch Beistandschaften anordnen müssen», so der Bundesrat in seiner Botschaft.

Massgeschneiderte Massnahmen: Im revidierten Recht haben das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Flexibilität einen grossen Stellenwert. Statt der früheren fixen Beistand-, Beirat- und Vormundschaften gibt es nur noch definierte Beistandschaften, die flexibel an die Bedürfnisse der Schutzbedürftigen angepasst sind. Unterschieden wird zwischen drei massgeschneiderten Arten der Beistandschaft und der umfassenden Beistandschaft (siehe Seite 57).

Schutz von urteilsunfähigen Personen: Fast 30 Prozent der über 80-Jährigen sind vorübergehend oder dauernd in einem von rund 1600 Alters- und Pflegeheimen untergebracht. Und viele urteilsunfähige geistig Behinderte leben in Heimen. Sie mögen dort noch so liebevoll betreut werden – sie geniessen nicht immer den Schutz, den sie brauchen. Mit schriftlichen Betreuungsverträgen wird hier Transparenz geschaffen, und die Kantone werden verpflichtet, die Institutionen zu beaufsichtigen. Das Gesetz regelt auch, wann bewegungseinschränkende Massnahmen erlaubt sind (mehr dazu auf Seite 109).

Rechtsschutz bei Einweisungen wider Willen: Man kann es drehen und wenden, wie man will – die «fürsorgerische Freiheitsentziehung» des alten Rechts erinnerte mehr an Strafe als an Hilfe. Im Ersatz namens «fürsorgerische Unterbringung» werden die Dinge aber nicht bloss schöngeredet. Wer gegen seinen Willen in eine Klinik oder eine andere Einrichtung eingewiesen wird, hat heute mehr Rechte als früher. Gesetzlich verankert ist das Recht, eine Vertrauensperson beizuziehen; zudem müssen die Behörden periodisch die Notwendigkeit der Hospitalisation überprüfen. Heute ist auf Bundesebene festgelegt, welche Zwangsmassnahmen wann erlaubt sind – und wie man sich dagegen wehren kann (mehr zur fürsorgerischen Unterbringung auf Seite 81).

Darüber hinaus beseitigt das revidierte Gesetz Ausgrenzungen und Stigmatisierungen:

Angeordnete Massnahmen werden nicht mehr in den Amtsblättern veröffentlicht.

Begriffe wie «Mündel» und «Vormund» wurden ersatzlos gestrichen (nur Kinder, deren Eltern gestorben sind oder die nicht unter elterlicher Sorge stehen, haben noch einen Vormund).

Die Begriffe «mündig» und «unmündig» gehören der Vergangenheit an. Seit Januar 2013 ist man entweder minderjährig oder erwachsen beziehungsweise volljährig.

Volljährige geistig Behinderte sind nicht mehr auf Gedeih und Verderben ihren Eltern ausgeliefert: Die Erstreckung der elterlichen Sorge über die Volljährigkeit hinaus ist nicht mehr möglich.

Last but not least werden die rund 1400 Vormundschaftsbehörden abgeschafft und durch rund 150 professionelle Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) ersetzt. Diese haben ihre Entscheide allein aufgrund fachlicher und nicht etwa finanzieller Gesichtspunkte zu fällen. Zudem stehen sie – wie die früheren Behörden – unter einer Aufsicht.

INFO Beistand, Behörden, Gerichte – je nach Situation sind unterschiedliche Stellen involviert. Wie sie alle zusammenspielen, erfahren Sie in Kapitel 6 (Seite 131).

INFO Die für den Schutz von Erwachsenen zuständigen Behörden kümmern sich auch um den Schutz von Kindern – daher der Name Kesb: Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde.

Handlungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit: zentrale Begriffe im Erwachsenenschutz


Den Begriffen Handlungsfähigkeit und Urteilsfähigkeit – wie auch Handlungsunfähigkeit und Urteilsunfähigkeit – werden Sie in diesem Buch immer wieder begegnen. Sie sind zentral, wenn es darum geht, welche Massnahmen nötig und zulässig sind. Doch was bedeuten sie?

Handlungsfähigkeit


Die Handlungsfähigkeit ist in den Artikeln 12 und 13 ZGB definiert....

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